Tanz mit dem Schafsmann
getan haben. Dann kam die mobile Einsatztruppe, und man steckte uns vorübergehend in den Knast. Anschließend gab es für uns nichts mehr zu tun. Damals überredete mich eine Frau, mit der ich zusammenlebte, bei ihrer Theatertruppe mitzuspielen. Ich probierte es aus, zuerst nur zum Spaß, aber langsam gewann ich Interesse daran. Obwohl ich ein Neuling war, bekam ich eine Reihe passabler Rollen. Schon bald stellte sich heraus, dass ich eine Begabung dafür besaß. Ich beherrschte das Rollenspiel. Naturtalent. Nach zwei Jahren genoss ich bereits eine gewisse Popularität. Eigentlich war ich damals ziemlich durch den Wind. Alkohol und Sex, exzessiv. Na ja, wie es damals eben so üblich war. Eines Tages kam ein Typ von einer Filmgesellschaft und fragte mich, ob ich nicht in einem Kinofilm mitspielen wolle. Natürlich hatte ich Interesse und willigte ein. Es war keine schlechte Rolle. Ich spielte einen sensiblen Oberschüler, was mir dann sogleich weitere Rollen bescherte. Auch in Fernsehspielen. Die Würfel waren gefallen. Ich war so beschäftigt, dass ich die Theatertruppe aufgeben musste. Als ich dort ausstieg, gab es natürlich Ärger, aber es ging nicht anders. Ich hatte ohnehin nicht vorgehabt, ewig im Off-Theater zu bleiben. Mich zog es in die große, weite Welt. Und wie es jetzt aussieht, ist alles vorprogrammiert. Ich bin Spezialist für Arzt- und Lehrerrollen. Zwischendurch habe ich zwei Werbespots gedreht: Magentabletten und Instantkaffee. Das war also der Traum von der großen, weiten Welt.«
Gotanda seufzte. Charmant, aber ein Seufzen.
»Ein Leben wie im Bilderbuch, nicht wahr?«
»Nun, viele Künstler malen nicht besonders toll«, erwiderte ich.
»Na ja, stimmt auch wieder. Ich habe eben das Glück gepachtet. Aber wenn ich’s mir recht überlege, treffe ich nie eine eigene Wahl. Manchmal wache ich nachts auf und kriege panische Angst, weil mir meine Identität zu entgleiten droht. Ich frage mich dann, was mein wahres Ich ist. Mein ganzes Leben besteht nur darin, eine Rolle nach der anderen perfekt zu verkörpern. Aber keine Einzige davon habe ich mir ausgesucht.«
Ich sagte nichts dazu. Es hätte nichts gebracht.
»Ich rede bestimmt zu viel über mich«, entschuldigte er sich.
Überhaupt nicht, versicherte ich ihm. »Wenn dir danach ist, rede nur. Ich werde es nicht herumerzählen.«
»Darüber mache ich mir auch keine Sorgen«, sagte Gotanda und schaute mich an. »Von Anfang an nicht. Ich habe sofort Vertrauen zu dir gehabt. Warum, weiß ich auch nicht. Aber es ist so. Mit dir kann ich reden. Da fühle ich mich sicher. Eigentlich bin ich sonst niemandem gegenüber so redselig. Oder sagen wir, kaum jemandem. Mit meiner Exfrau habe ich geredet. Ganz offen. Wir haben uns gut verstanden. Na ja, schließlich haben wir uns ja auch geliebt. Bis sich die anderen in unser Leben eingemischt und es zerstört haben. Wären wir unter uns geblieben, kämen wir heute noch gut miteinander klar. Aber sie ist psychisch sehr labil. Bei ihr zu Hause herrscht ein strenges Regiment. Sie klammert sich zu stark an ihre Familie. Reichlich unselbstständig. Na ja, und ich … aber das führt jetzt zu weit. Darum geht es im Moment nicht. Ich wollte nur sagen, dass ich dir unbesorgt alles erzählen kann. Ich hoffe nur, es ist dir nicht lästig.«
Überhaupt nicht, erwiderte ich.
Dann sprach er über den gemeinsamen Laborunterricht. Wie er ewig unter dem Stress gestanden habe, die Experimente erfolgreich abschließen zu müssen und den Mädchen, die nicht so helle waren, alles genau zu erklären. Und wie er mich immer darum beneidet habe, dass ich die Aufgabe ganz allein erledigen konnte. Ich hingegen erinnerte mich überhaupt nicht mehr daran, was wir damals im Labor alles machen mussten, und deshalb fiel mir auch nichts ein, worauf er hätte neidisch sein können. Das Einzige, worauf ich mich noch besann, war Gotandas Geschicklichkeit. Mit welch anmutigen, eleganten Handgriffen er zum Beispiel den Bunsenbrenner anzündete oder das Mikroskop einstellte. Und wie gebannt die Mädchen jede seiner Gesten und Bewegungen verfolgten, als bestaunten sie ein Weltwunder. Ich konnte also meinen Kram nur deshalb so entspannt machen, weil alles Schwierige an ihm hängen blieb.
Das sagte ich aber nicht, sondern hörte ihm nur zu.
Ein wenig später kam ein gut gekleideter Mann um die vierzig an unseren Tisch und klopfte Gotanda auf die Schulter. Sie begrüßten sich wie alte Bekannte. Mein Blick wurde automatisch von der Rolex an
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