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Tanz mit dem Schafsmann

Tanz mit dem Schafsmann

Titel: Tanz mit dem Schafsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Haruki Murakami
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blieb stumm und starrte auf den Aschenbecher. Er hatte weder ein Muster noch ein Logo. Nur ein alter, verschmutzter Aschenbecher aus Glas. Früher mochte er durchsichtig gewesen sein, aber jetzt war das Glas trübe, und an den Rändern klebten Teerrückstände. Wie lange mochte er wohl schon auf diesem Tisch stehen? Vielleicht zehn Jahre?
    Fischer ließ erneut das Plastiklineal gegen seine Handfläche klatschen.
    »Na schön«, lenkte er ein. »Dann werde ich die Umstände erklären. Das entspricht zwar nicht unseren Gepflogenheiten bei Verhören, aber da Sie ja auch ein Wörtchen mitzureden haben, richten wir uns nach Ihnen. Also …«
    Er legte das Lineal auf den Tisch und holte aus einer der Aktenmappen einen Umschlag hervor, aus dem er großformatige Fotos zog. Nachdem er drei Abzüge vor mir ausgebreitet hatte, nahm ich sie in die Hand, um sie näher zu betrachten. Es waren nüchterne Schwarzweißaufnahmen ohne künstlerische Note. Das war auf den ersten Blick zu erkennen. Auf allen Fotos war eine nackte Frau abgebildet. Das erste zeigte sie bäuchlings auf einem Bett liegend. Lange Beine, straffer Po. Die Haare lagen vom Nacken aufwärts wie ein Fächer ausgebreitet und verdeckten ihr Gesicht. Die Beine waren gerade so weit gespreizt, dass ihr Geschlechtsteil zu sehen war. Die Arme hingen schlaff zur Seite. Sie sah aus, als schliefe sie. Sonst war nichts Auffälliges erkennbar.
    Das nächste Foto war schon etwas drastischer. Die Frau lag jetzt auf dem Rücken, sodass Brüste, Scham und Gesicht zu erkennen waren. Hände und Füße waren geschlossen wie bei einer aufrechten Standposition. Es war offensichtlich, dass sie tot war. Ihre Augen weit aufgerissen, der verzerrte Mund erstarrt. Es war May.
    Das letzte Foto war ein Closeup von ihrem Gesicht. Es bestand kein Zweifel: Die Frau war May. Keine umwerfende Schönheit mehr. Nur erstarrte Agonie. Am Hals war ein Streifen erkennbar, als wäre die Haut dort stark gerieben worden. Meine Kehle war ganz trocken, ich konnte kaum schlucken. Meine Handflächen kribbelten. May. Ihr wundervolles Liebesspiel. Bis zum Morgen hatten wir lustvoll Schnee geschaufelt, Dire Straits gehört und Kaffee getrunken. Und nun ist sie tot. Existiert nicht mehr. Ich wollte den Kopf schütteln, hielt mich aber zurück. Ohne mir etwas anmerken zu lassen, reichte ich Fischer die drei Fotos zurück. Sie hatten mich genau beobachtet, während ich die Fotos betrachtete. Und? Mit fragender Miene blickte ich zu Fischer.
    »Sie kennen diese Frau, nicht wahr?«, wollte er von mir wissen.
    Ich schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüßte«, antwortete ich. Wenn ich die Frage bejaht hätte, wäre Gotanda automatisch in die Sache verwickelt worden. Er war schließlich das Verbindungsglied zwischen May und mir. Das konnte ich ihm jetzt unmöglich antun. Vielleicht steckte er ja bereits mittendrin, aber das konnte ich momentan nicht wissen. Falls er aber erwähnt haben sollte, dass ich mit May die Nacht verbracht hatte, stünde ich in einem ziemlich ungünstigen Licht. Dann hätte ich eine Falschaussage gemacht. Da hörte der Spaß dann auf. Es war also ein Vabanquespiel. Aber auf keinen Fall durfte ich von mir aus seinen Namen ins Spiel bringen. Für ihn sah die Situation ganz anders aus. Es würde einen schrecklichen Skandal und Medienrummel geben.
    »Werfen Sie noch einmal einen Blick darauf«, sagte Fischer mit bedeutungsschwerer Stimme. »Es ist äußerst wichtig. Schauen Sie es sich genau an, und dann beantworten Sie bitte meine Frage. Haben Sie die Frau schon einmal gesehen? Und keine Lügen, wenn ich bitten darf. Wir sind Profis, uns kann man nichts vormachen. Der Polizei die Unwahrheit zu sagen hätte böse Konsequenzen für Sie. Ist das klar?«
    Ich betrachtete die Fotos eingehend, obwohl ich es lieber vermieden hätte, aber das durfte ich nicht.
    »Nie gesehen«, sagte ich. »Sie ist tot, oder?«
    »Sie ist tot«, wiederholte Schöngeist in lyrischem Tonfall. »Mausetot. Toter geht’s nicht. Es war sonnenklar, als wir sie am Tatort vorfanden. Eine tolle Frau. Splitternackt hat sie da gelegen. Man hat sofort erkannt, dass es ein Klasseweib war. Aber nun ist sie tot. Da spielt es keine Rolle mehr, ob sie schön ist oder nackt. Sie ist bloß noch eine Leiche, die verwesen wird. Ihre Haut wird abfaulen und das modernde Fleisch zum Vorschein bringen. Und dazu noch der Gestank! Und die Maden. Haben Sie so was schon mal erlebt?«
    Ich verneinte.
    »Wir aber, zigmal. In manchen Fällen lässt

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