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Tanz mit mir - Roman

Tanz mit mir - Roman

Titel: Tanz mit mir - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucy Dillon Sina Hoffmann
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ohne die Musik, mit den übereinandergestapelten Stühlen und den Hinweisen zu den Brandschutzbedingungen in einen tiefen Dornröschenschlaf gefallen zu sein. In ihrer Erinnerung hörte Angelica schmetternde Hörner, die flotten Streicher einer Tanzkapelle und den widerhallenden Shuffle-Rhythmus der Snares, gespielt mit einem Jazz-Besen.
    Es war fast wie ein Déjà-vu-Erlebnis, und ein unheimliches Gefühl beschlich sie – ihre Vergangenheit wurde wieder lebendig, nachdem sie viele Jahre lang so getan hatte, als hätte es sie nie gegeben.
    Musik besaß die Kraft, Erinnerungen wachzurufen. Angelica
hatte stets den Eindruck gehabt, den Geist der Vergangenheit zu spüren, wenn sie zu Musik tanzte, die Jahre vor ihrer Geburt aufgenommen worden war. Wenn man sich zu dieser Musik bewegte, teilte man den freudigen Schauer mit allen zaghaften Männern und erwartungsvollen Frauen, die genau das Gleiche, am selben Ort, an den gleichen lauen Sommerabenden oder kühlen Herbsttagen wie heute erlebt hatten. Die Welt mochte sich immer weiter um ihre Achse drehen, doch die Schritte und Kombinationen, das Führen und Folgen, blieben gleich.
    Angelica ließ sich auf der Bank nieder, auf der sie schon als Sechsjährige gesessen und eifrig ihre roten Ballettschuhe angezogen hatte. Sie kramte aus ihrer Tasche die roten abgenutzten, aber butterweichen Schnürschuhe mit der Ledersohle hervor, die sie zum Unterrichten trug. Selbst jetzt noch wollte sie den Schwingboden nicht mit ihren Straßenschuhen betreten.
    Wenn sie sich schon auf den Weg in die Vergangenheit machte, dann wenigstens in den richtigen Schuhen.
    Als sie mit den Füßen in die Tanzschuhe schlüpfte, fiel ihr Blick auf die Verbindungstüren. Sie spürte die Gänsehaut auf ihren gebräunten Armen. Wenn sie die Türen gleich aufsto ßen würde, würden dann die Geister der Vergangenheit dort tanzen und sie missbilligend empfangen?
    Mrs. Trellys zum Beispiel, die erste Ballettlehrerin, mit ihrem Gehstock und der alten Geschichte, wie sie beinahe zum Kirow-Ballett nach Russland gegangen wäre, und ihren scharfen Worten über kleine Mädchen mit rrrrrrrrunden Schultern.
    Oder der süße, aber schwerfällige Bernard, ihr erster richtiger Tanzpartner. Mit zurückgegelten Haaren und leuchtend roten Ohren wartete er im Frack seines Vaters ein wenig unbeholfen darauf, dass sie vielleicht doch noch ihre Meinung ändern würde.
    Womöglich aber auch ihre Eltern, die nun im großen Tanzsaal
des Himmels wieder miteinander vereint waren, wo nur klassische Walzer gespielt wurden und wo die Hochsteckfrisur ihrer Mutter bis zum letzten Tanz hielt.
    Angelica schluckte und wurde starr.
    Ob Tony wohl auch dort sein würde? Mit seinen verführerischen Latinoaugen und den Hosen, die für einen Tanzwettbewerb viel zu eng saßen? Der ihr seine Hand entgegenhielt und sie auf eine sehr altmodische Art und Weise zum Tanz aufforderte, die jedem anderen zwar überaus galant erschien, für sie aber unerträglich aufregend und quälend anmutete?
    Sie schloss die Augen und ließ sich von einer Welle aus Sehnsucht, Bedauern und immer noch schmerzlicher Enttäuschung fortreißen. Sie hatte diese Gefühle jahrelang von sich ferngehalten, so, wie sie ihr Leben lang alle starken Gefühle unter ihrem professionellen Lächeln einer Tänzerin verborgen hatte. Doch nun, da sie nach Longhampton zurückgekehrt war, waren diese Gefühle mit der ganzen verstörenden Macht eines Todesfalles zurückgekehrt.
    Gott allein wusste, wo Tony war. Doch in ihrer Phantasie würde er immer fünfunddreißig Jahre alt und sein Haar so rabenschwarz wie seine polierten Schuhe bleiben, und sie beide wären immer kurz davor, entweder sich zu streiten oder unter wilden Küssen ins Bett zu fallen.
    Angelica schob die Erinnerungen beiseite und erhob sich von der Bank. Sie holte tief Luft und stieß die massiven Holztüren auf, in die ab Hüfthöhe etwa sechzehn kleine Fensterscheiben eingearbeitet waren, durch die man schon beim Anziehen der Schuhe einen Blick auf die Tänzer erhaschen konnte, während der eigene Puls in die Höhe schoss und die Füße darauf brannten, sich dem Tanz anzuschließen. Das Glas reichte aus, um sehen zu können, ob der eigene Mann mit einer anderen Dame tanzte oder ob sich die Tanzfläche leerte für ein Pärchen, das mit neuen Schritten prahlen wollte.

    Angelicas Schritte hallten über den wunderbaren Holzboden. Der Schwingboden aus Ahorn – wie in den feinsten und besten Tanzsälen, in denen sie getanzt

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