Tanz mit mir - Roman
nämlich nicht erzählt.«
»Kein Problem, Mum«, erwiderte Lauren und klapperte auf der Tastatur herum. »Beschichtete … Pfannen … originalverpackt«, las sie vor und drückte die Entertaste.
Entgegen allen Erwartungen war dieser Abend ganz schön ertragreich gewesen, dachte Lauren.
12
Angelica saß im Wohnzimmer ihrer Eltern auf dem kratzigen braunen Stoffsofa, das zwar alle fünf Jahre wieder neu gepolstert, aber nie durch ein anderes Modell ersetzt worden war. Inmitten von hohen Papierstapeln blätterte sie bedächtig in einem Familienalbum und betrachtete die Fotos. Das Album hatte tief unten in einer Kiste mit der Aufschrift »Angela« gelegen, die wiederum in der hintersten Ecke des Dachbodens unter einer Kiste mit Cyrils Detektorempfängern verborgen gewesen war. Womit schon alles klar war, wie sie dachte.
In dem Album befand sich kein einziges Foto von Pauline und Cyril aus der Zeit vor Angelicas Geburt. Angelica konnte sich nur schwerlich ausmalen, wie sie als junges Paar gewesen sein mochten; sie konnte sich die beiden einfach nicht vorstellen, wie sie im Lake District picknickten oder bei einer Party in lautes Gelächter ausbrachen. Es gab ein paar grässliche Fotos von ihnen in ihren Turniertanzkleidern, doch nur die mit Bleistift auf der Rückseite vermerkten Jahreszahlen gaben Angelica Aufschluss darüber, ob Cyril damals zwanzig oder vierzig Jahre alt gewesen war.
Auf den ersten Fotos war Angelica bereits einige Monate alt und lag ein wenig mürrisch in einer Weidenwiege: Angela Marie, 4 Monate, zu Hause , hatte Pauline sorgsam mit einem Wachsmalstift auf der Rückseite vermerkt. Es war das erste von vielen Fotos, die einander alle sehr ähnelten.
Bin das wirklich ich?, fragte sich Angelica, die die Fotos schon viele Jahre nicht mehr gesehen hatte. Sie war ein kleines, blasses Baby mit einer Häkelmütze gewesen, das niemals so süß ausgesehen hatte wie die liebevoll von Hand gefertigten Kleidchen, die man ihr angezogen hatte. Pauline schien alles selbst gestrickt zu haben: Babyjäckchen, Mützchen, Strampler, Schühchen sowie aparte Rüschenkleidchen.
Auf der nächsten Seite folgten Fotos von Pauline, schon im mittleren Alter und in ihren typischen Twinsets, wie sie Angela bei der Taufe auf dem Arm hielt. Dann folgten Bilder von Angela, wie sie auf dem niedrigen Mäuerchen im Garten saß und mit Schaufel und Eimer spielte. Auf den Fotos war für gewöhnlich allein Angela abgebildet, die in sicherer Entfernung von allen Dornen und Wasserpfützen spielte und recht finster unter ihrem dunklen Wuschelkopf hervorstarrte, bis sie etwa zwölf Monate alt war. »Ihr erstes Lächeln für die Kamera!«, hatte Pauline sorgsam auf dem Bild notiert. Von da an suchte der Blick der kleinen Angela die Kamera, wie sich eine Blume der Sonne entgegenreckt. Pauline dagegen lächelte nicht so oft, was aber daran gelegen haben mochte, dass für gewöhnlich Cyril fotografiert und harsche Anweisungen gegeben hatte.
Das Album endete, als Angela etwa fünf Jahre alt war und ihre Mutter sie zu Miss Trellys geschickt hatte, womit dann die Tanzalben begannen. Dies markierte das Ende von Angela, der Tochter, und den Beginn von Angela, die Paulines Träume vom Turniertanz verwirklichte.
Angelica blätterte die Seiten um in der absurden Hoffnung, auf ein paar unbekannte Schnappschüsse zu stoßen, auf denen Cyril vielleicht mit Pauline zu Ehren ihres Hochzeitstages anstieß oder die beiden beim freitäglichen Tanzabend einen süßen Sherry tranken. Aber es gab keine anderen Fotos mit Ausnahme von zwei losen Bildern, die zwischen die Albumseiten und das Transparentpapier geschoben worden
waren: Angela in ihrer Schuluniform, die Fußspitzen in Ballettposition anmutig nach außen gedreht, die schwarzen Haare zu langen Zöpfen geflochten sowie ein Bild von Pauline und Angela bei einem seltenen Ausflug nach Birmingham.
Dann folgte seltsamerweise – und sie erschrak fast, als sie plötzlich Bilder von sich als Erwachsene erblickte – ihr Hochzeitsfoto: Jerry und sie hielten einander an den Händen und strahlten unter einer typisch amerikanischen, blütenübersäten Laube um die Wette. Die bunten Farben und die Sonne Floridas bildeten einen starken Kontrast zu ihrer Kindheit im eintönigen Schwarz-Weiß Longhamptons. Ihr Leben war mit einem Mal vorgespult worden zu der fast vierzigjährigen Frau, die sie gewesen war, als sie Jerry auf einer Kreuzfahrt kennengelernt hatte. Der Witwer hatte an Bord ein romantisches
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