Tanz, Pueppchen, Tanz
zählen wohl kaum zu den bedrohten Arten.«
»Ha! Wenn du mich fragst, sind sie längst nicht gefährdet genug. Ich hasse die Viecher.«
Amanda prustet los und fragt sich, ob das Leben noch absurder werden kann. »Es war nett, Sie wiederzusehen, Mrs. MacGiver, aber ich glaube, Sally hat Recht. Es ist viel zu kalt, um in Nachthemd und Pantoffeln draußen rumzulaufen.«
»Mir ist eiskalt«, stimmt Sally mit klappernden Zähnen zu.
Mrs. MacGiver macht mehrere winzige Schritte nach vorn und streckt ihre spindeldünnen Finger nach Amandas Wange aus. »Püppchen«, sagt sie kichernd. »Püppchen, Püppchen. Wer ist mein kleines Püppchen?«
»Okay. Das reicht. Du machst mir irgendwie Angst, Grandma«, erklärt Sally und wendet die alte Frau mit sanfter Gewalt. »Sie driftet zwischendurch ständig weg«, erläutert sie Amanda zum Abschied und führt ihre Großmutter über die Straße zurück zu ihrem Haus. »Schön, dich wiedergesehen zu haben, Amanda«, ruft Sally und winkt, bevor sie ihre Großmutter ins Haus schiebt und die Tür hinter sich schließt.
Amanda versucht, jeden Gedanken an die bizarre Szene zu verdrängen. Aber selbst nachdem die beiden Frauen verschwunden sind, Amanda ins Haus ihrer Mutter zurückgekehrt ist und die Haustür sowie die Tür zu ihrem alten Zimmer geschlossen hat, wo sie in ihrem Bett Zuflucht gesucht hat, hört sie die Worte in der Stille widerhallen. Püppchen, flüstern die Wände, während sie sich die mit Rüschen besetzte, rosafarbene Bettdecke auf die Ohren presst.
Püppchen. Püppchen. Wer ist mein kleines Püppchen?
22
Erstaunlicherweise schläft Amanda fest ein und wacht erst um kurz vor acht abends wieder auf. »Das kann nicht sein«, wundert sie sich, steht auf, blinzelt im Dunkeln auf ihre Uhr und tippt ungeduldig auf das Glas, bevor sie die Uhr ans Ohr hält, um zu überprüfen, ob sie noch tickt. »Irgendwas ist hier auf jeden Fall verdreht. Das kann nicht stimmen.«
Sie schaltet die zierliche Nachttischlampe mit dem rosaweiß geblümten Schirm an und sieht erneut auf die Uhr.
»Nein, das stimmt nicht.« Aber als sie aus dem Fenster sieht, ist es draußen dunkel, und ein leuchtender Halbmond steht inmitten von funkelnden Sternen hoch am Himmel. Kann es wirklich acht Uhr sein? Abends? Ist es möglich, dass sie den ganzen Nachmittag verschlafen hat?
Amanda geht nach unten in die Küche, schaltet das Licht an und vergleicht die Uhrzeit auf der großen weißen Wanduhr mit der auf ihrer Armbanduhr aus Edelstahl und stellt eine Diskrepanz von lediglich drei Minuten fest. »Ich glaub es nicht«, erklärt sie dem leeren Zimmer und hört als Antwort nur ihren Magen, der knurrend das längere Ausbleiben von Nahrung beklagt. Sie inspiziert den Kühlschrank und entdeckt einen großen Karton Orangensaft, einen kleineren Karton Magermilch sowie einige Eier, mehrere Granny-Smith-Äpfel und einen alten verwelkten Salat, den sie eilig in dem Mülleimer unter dem Waschbecken entsorgt. »Nichts zu essen. Als hätte ich’s mir gedacht!«
Sie kontrolliert das große Gefrierfach, wühlt sich durch mehrere Beutel Tiefkühlerbsen und -mais, bevor sie hinter einer großen Tüte tiefgefrorener Bagels eine Packung Stuffer’s Maccaroni mit Käse findet. »Danke, Gott«, sagt sie laut, und auch ihr Magen brummt in vorfreudiger Zustimmung, als sie das Paket in die Mikrowelle schiebt. Ein paar Minuten später steht sie vor dem Ofen und schaufelt die dampfenden Nudeln in Käsesahnesauce direkt aus der Aluschale gabelweise in ihren Mund, bevor sie zuletzt den Boden auskratzt, bis kein Tropfen Sauce mehr übrig ist. »Alles aufgegessen«, sagt sie stolz, spült das Abendessen mit einem Glas Wasser hinunter und beschließt, dass es nun wirklich an der Zeit ist, die Pflanzen zu gießen. Es gibt nichts Deprimierenderes als ein Haus voll toter Pflanzen, sagt sie sich, nimmt einen Krug, füllt ihn mit lauwarmem Wasser und steigt auf einen Stuhl, um eine Reihe von Grünpflanzen auf den Küchenschränken zu gießen, bevor sie das Gleiche brav mit den Pflanzen in Ess- und Wohnzimmer tut.
Seltsam, denkt sie, als sie in die Küche zurückkehrt, um den Krug wieder zu füllen. Sie hätte nie gedacht, dass ihre Mutter einen grünen Daumen hat. Aber allen Pflanzen geht es erstaunlich gut, die üppigen grünen Blätter an ihren kräftigen Stängeln glänzen allesamt so gesund und perfekt, dass man sie beinahe für künstlich halten könnte. Sie sind künstlich, erkennt Amanda kurz darauf, als das Wasser, das
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