Tanz, Pueppchen, Tanz
auf die Straße. Als Kind durfte sie sich nie in diesem Zimmer aufhalten und schon gar nicht darin spielen. Nein, wenn sie spielen wollte, sollte sie in den Keller gehen, wo aller Lärm, den sie vielleicht machte, ihre Mutter nicht störte. Amanda hatte den Keller nie gemocht. Er war kalt, feucht und trübe, selbst wenn alle Lichter brannten. Und manchmal bildeten sich dort Schatten, die ihr Angst machten, auch wenn ihr Vater ihr erklärte, dass es dort unten nichts gäbe, wovor sie sich fürchten musste.
Einmal hatte sie im Keller ein paar alte Handpuppen gefunden. Jemand hatte sie in eine Kiste hinter dem Heizkessel geworfen, und ihre Gesichter waren so staubig, dass Amanda niesen musste, als sie die Puppen über ihre Hand streifte. Sie nahm sie mit nach oben und wusch sie sorgfältig in einem Waschbecken. Das war natürlich hinterher schmutzig, und sie wusste, dass ihre Mutter wütend werden würde, wenn sie die Bescherung sah, und es war wichtig, Mommy nicht wütend zu machen oder in irgendeiner Weise aufzuregen – erklärte ihr Daddy das nicht ständig? Aber Daddy war bei der Arbeit, und Mommy schlief, und die Puppen sahen gewaschen viel hübscher aus, das musste auch ihre Mutter erkennen. Obwohl ihre Haare immer noch ganz struppig waren und wahrscheinlich geschnitten werden mussten. Und sie wusste, wo ihre Mutter die Schere aufbewahrte, obwohl sie den Puppen die Haare nicht dort in der Küche schneiden konnte, wo ihre Mutter sie hören könnte, und im Keller war es zu düster, um sie anständig zu frisieren. Aber das Wohnzimmer war genau richtig. Teppiche dämpften ihre Schritte, und durch das Fenster zur Straße fiel genug Licht, und außerdem würde es ja nicht lange dauern. Und wenn sie ihrer Mutter zeigte, wie schön sauber sie die alten Puppen gemacht hatte, wäre ihre Mutter nicht mehr so traurig, vielleicht würde sie sogar lächeln und glücklich sein, und dann könnte Amanda mit den Puppen etwas für sie aufführen, und ihre Mutter würde lachen, so wie sie früher gelacht hatte. Ja, es gab eine Zeit, in der ihre Mutter gelacht hatte, erinnerte sich Amanda, als sie die Puppen ins Wohnzimmer trug und ihren behelfsmäßigen kleinen Frisörsalon einrichtete. Sie schnitt den Puppen die Haare und betrachtete die gelben Fäden, die sich wie Goldstaub überall auf dem grauen Teppich verteilten. Und nun würde sie ihre Mutter wieder zum Lachen bringen.
Aber ihre Mutter lachte nicht. Sie weinte und schrie und schleuderte die Puppen so wütend durchs ganze Zimmer, dass ein Plastikkopf von seinem Rumpf getrennt und das frisch abgeschnittene Haar in alle Richtungen verteilt wurde. Was hast du getan, schluchzte ihre Mutter wieder und wieder. Was hast du getan? Was hast du getan?
Ich wollte sie nur hübsch machen, wimmerte die kleine Amanda, hielt sich den Bauch und wandte sich vornübergebeugt von ihrer Mutter ab, als hätte sie einen Schlag in die Magengrube bekommen.
Was hast du getan, war die einzige Antwort ihrer Mutter. Was hast du getan?
»Was habe ich getan?«, fragt Amanda sich jetzt laut und springt auf. »Was habe ich getan? Verdammt, ich war sechs Jahre alt, ich war ein Kind.«
Aber nicht lange, denkt sie und beschließt, dass sie hier doch nicht bleiben kann. Sie geht zurück in den Flur, zieht ihre Stiefel an, holt ihren Parka aus dem Garderobenschrank und stößt dabei mit der Hand auf etwas Kaltes und Hartes zwischen den Jacken und Mänteln ihrer Mutter, was sich als brandneue Schneeschippe mit Holzgriff und roter Schaufel entpuppt, an der noch ein Preisschild baumelt. Offenbar unbenutzt, stellt Amanda fest, als sie die Schaufel aus dem Schrank zieht und eingehender betrachtet. Ihre Mutter war zu beschäftigt damit, Leute zu erschießen, um noch die Zeit zu finden, die Treppe vor ihrem Haus frei zu schippen.
»Was soll’s? Ich kann mit meiner Zeit auch ebenso gut etwas Nützliches anfangen.« Amanda entfernt das Preisschild –
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