Tanz, Pueppchen, Tanz
sie auf eine Pflanze gießt, aus dem blauen Porzellantopf auf dem Kaminsims quillt. »Mein Gott, die sind alle aus Plastik. Ich glaub es nicht.« Sie rennt zurück in die Küche und reißt ein paar Küchentücher von der Rolle, mit denen sie das Wasser vom Kaminsims wischt, bevor es Flecken hinterlässt. Dann verfolgt sie ihren Weg zurück, überprüft die Blätter der falschen Pflanzen, die sie schon gegossen hat, und wischt sorgfältig alle Spuren ihrer fehlgeleiteten Bewässerungsaktion weg. Dabei sieht sie sich immer wieder um, als hätte sie Angst, dass ihre Mutter die Treppe herunterkommen und sie für ihre achtlose Dummheit ausschimpfen könnte.
Als sie fertig ist, setzt sich Amanda im Schneidersitz auf den grauen Teppich im Wohnzimmer und fragt sich, seit wann sie nicht mehr zwischen echt und unecht unterscheiden kann. Das Leben schreibt die seltsamsten Geschichten – sagte man das nicht? Aber seit wann war es so schwierig zu erkennen, wo das echte Leben aufhörte und die Fantasiegeschichten begannen?
Wahrscheinlich ungefähr zu der Zeit, als ihre Mutter angefangen hatte, wildfremde Menschen in Hotellobbys zu erschießen.
Obwohl der Mann, der sich John Mallins nannte, für ihre Mutter kein Fremder war, dessen ist Amanda sich sicher.
Sie blickt in den winzigen Hausflur und überlegt, dass sie Ben anrufen sollte. Er fragt sich bestimmt schon, was passiert ist. Hat sie nicht versprochen, ihn anzurufen, sobald sie sich eingerichtet hat? Sie schlendert zu ihrer Handtasche, die an ihre Reisetasche gelehnt noch immer in der Mitte des Flures steht, wo sie sie vor mehr als acht Stunden hat fallen lassen, zieht ihr Handy heraus, starrt es mehrere Sekunden lang an und lässt es wieder in ihre Tasche gleiten. Verdammt, er kennt ihre Nummer. Soll er doch anrufen, wenn er mit ihr sprechen will. Was offensichtlich nicht der Fall ist, denkt sie, zieht ihr Telefon ein weiteres Mal aus der Handtasche, ruft die eingegangene Nachrichten auf und findet keine.
Und was jetzt?
Sie hat bereits den ganzen Nachmittag verschlafen, ihr Tiefkühl-Abendessen verzehrt und die künstlichen Pflanzen gegossen. Was bleibt noch zu tun? »Wie wär’s mit einem Drink nach dem Essen?«, fragt sie, schlurft zu der Hausbar im Esszimmer und findet lediglich ein paar alte Kristallgläser und mehrere große Obstschalen. »Nicht einmal einen Likör hast du behalten?«, fragt sie das leere Haus, geht zurück in die Küche und durchsucht alle Schränke. Wann hat ihre Mutter eigentlich aufgehört zu trinken? Und hätte sie nicht eine Kleinigkeit aufbewahren können für den Fall, dass jemand zu Besuch kommt? Was sollen die ganzen bescheuerten Kräutertees, die sie findet? »Na gut, warum nicht?« Wahrscheinlich hat sie in letzter Zeit ohnehin ein bisschen zu viel getrunken, entscheidet sie und setzt den elektrischen Wasserkocher auf.
Als das Wasser gekocht hat, gießt sie sich einen Pfirsich-Himbeer-Tee auf, der sich als überraschend wohlschmeckend erweist, und kramt durch die diversen Küchenschubladen. In der ersten Schublade stößt sie auf eine wahllose Sammlung vergilbter und mit Fettflecken übersäter Rezepte, die ihre Mutter aus Zeitungen ausgeschnitten hat, darunter eines für eine kalte Avocadocremesuppe, bei dem ihr das Wasser im Mund zusammenläuft, und ein anderes für ein Himbeer-Orangen-Soufflé, das absolut göttlich klingt, sowie ein ganzer Packen von Vorschlägen und Ideen für die kreative Zubereitung von Hühnchen. Amanda liest sie alle durch und versucht, die offensichtlich häufig benutzten Rezepte ihrer Mutter mit der Frau aus ihrer Erinnerung zusammenzubringen, die praktisch nur Tiefkühlgerichte aufgewärmt und zum Dessert eine Dose Fruchtcocktail geöffnet hat, wenn sie überhaupt an den Nachttisch dachte.
Die nächsten beiden Schubladen sind mit den üblichen Küchenutensilien gefüllt: Edelstahlbesteck; bunte Geschirrtücher; runde, mit saftigen violetten und roten Beeren bedruckte Plastikuntersetzer; weiße Papierservietten mit einem Schmuckrand aus blauen und rosafarbenen Schnörkeln. Eine Schublade ist zum Bersten voll mit Bedienungsanleitungen und Garantieerklärungen für diverse Küchengeräte, eine weitere schwer beladen mit Essstäbchen aus Holz und Plastikbesteck von verschiedenen Restaurants, die nach Hause liefern. In der Schublade unter dem Telefon findet sie ein Adressbuch, das auf einem Umschlag liegt. Amanda blättert es durch und stellt kaum überrascht fest, dass die meisten Seiten leer sind. Nichts
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