Tanz, Pueppchen, Tanz
Bad, beschließt sie in Erinnerung an Bens Ermahnung: Nimm ein heißes Bad, bestell dir beim Zimmerservice was zu essen und schlaf dich ordentlich aus. Klar. »Was zum Teufel mache ich hier?«
»Verzeihung«, ruft eine Frau auf der anderen Straßenseite.
Amanda wendet sich in die Richtung. Sie sieht: eine junge Frau in einem Waschbärfellmantel und einer schwarzen, pelzbesetzten Mütze, die auf der anderen Straßenseite steht und sie erwartungsvoll ansieht. »Verzeihung? Haben Sie was gesagt?«
Die Frau blickt nach links und rechts und überquert dann die Straße. Amanda schätzt sie etwa gleich alt wie sich, obwohl man von ihrem Gesicht nicht viel mehr als volle Wangen und eine kleine Himmelfahrtsnase erkennen kann, deren Spitze so rot leuchtet wie die von Rudolph. »Tut mir Leid, wenn ich Sie behellige, aber meine Großmutter hat Sie von gegenüber gesehen und ist ganz aufgeregt geworden. Sie hat darauf bestanden, dass ich herausfinde, ›wer die Frau ist, die Gwen Price’ Schnee schippt‹.«
Amanda blickt zu dem Haus gegenüber und sieht dann wieder die junge Frau an, die vor ihr steht, sieht die Spuren der Jahre in ihrem Gesicht verschwinden, bis ihr ein leicht pummeliges Mädchen mit Apfelbäckchen, großen braunen Augen und einem bereitwilligen Lächeln entgegenblickt.
»Sally?«
Die anfängliche Neugier der jungen Frau weicht nervöser Besorgnis. »Kennen wir uns?«
»Ich bin’s, Amanda. Amanda Tra … Amanda Price.« Der Name fühlt sich fremd an auf ihren Lippen, als gehörte er einer anderen.
»Amanda! Amanda, oh mein Gott. Amanda. Wie geht es dir?«
»Gut. Das heißt, den Umständen entsprechend … ich nehme an, du hast das mit meiner Mutter gehört …«
»Ja. Ich kann es nicht glauben. Wie geht es ihr?«
»Sie hält sich ganz gut«, sagt Amanda und denkt, besser als ganz gut. »Und wie geht es dir?«
»Gut.«
»Und deiner Großmutter?«
»Nicht so toll.«
»Was hat sie denn?«
»Was hat sie nicht?«
Amanda stellt sich die alte Mrs. MacGiver mit ihren grauen Haaren und den von blauen Adern überzogenen Händen vor. Sie war ihr, schon als Amanda noch ein Kind war, immer uralt vorgekommen. »Das tut mir Leid.«
»Nun, was will man machen? Sie ist sechsundachtzig.«
»Backt sie noch?« Amanda erinnert sich an die Limonen-Tart, die Mrs. MacGiver nach dem Tod ihres Vaters vorbeigebracht hat.
»Nur noch selten. Meistens sitzt sie in ihrem Zimmer und guckt Fernsehen. Aber denkt sie auch nur daran, das Haus zu verkaufen und in eine betreute Einrichtung zu ziehen, was das Leben für alle erleichtern würde?« Die Frage hängt in der Luft, das nachfolgende Schweigen ist Antwort genug.
»Wohnst du bei ihr?«
»Oh nein. Ich bin bloß vorbeigekommen, um zu sehen, ob sie irgendwas braucht. Dann hat sie dich gesehen und darauf bestanden, dass ich sofort rübergehe.«
»Ich bin froh. Es ist schön, dich wieder zu sehen.«
»Ja, das finde ich auch. Und das mit deiner Mutter tut mir wirklich Leid. Hatte sie einen Zusammenbruch oder irgendwas?«
Oder irgendwas, denkt Amanda und sieht eine gebückte Gestalt in einem langen weißen Flanellnachthemd und blauen Fellpantoffeln, die im Sturmschritt die Treppe des Hauses gegenüber hinunter und Richtung Straße hastet.
»Oh mein Gott, Sally, deine Großmutter … Mrs. MacGiver, warten Sie. Die Autos …«
Ein heranrollender Wagen hupt laut und bremst hart, als die alte Mrs. MacGiver, ohne hinzusehen, auf die Straße tritt, wo ihre Fellpantoffeln im Schnee versinken. »Pass doch auf, Orni!«, ruft der Fahrer aus dem offenen Fenster.
»Ach, reg dich ab«, keift die alte Mrs. MacGiver zurück, klopft auf die Stoßstange des Wagens und schlägt auch die Hände ihrer Enkelin weg, die sie zurückhalten will. Im Licht der kalten Sonne mustert sie Amanda blinzelnd. »Wer bist du?«
»Grandma, um Himmels willen. Du musst sofort zurück ins Haus. Du holst dir hier draußen den Tod.«
»Ich kenne dich«, sagt Mrs. MacGiver, die wässrigen blauen Augen fest auf Amanda gerichtet.
»Grandma, du musst zurück ins Haus.« Sally versucht, einen Arm um sie zu legen, doch ihre Großmutter windet sich aus ihrem Griff.
»Ich bin Amanda Price«, erklärt Amanda ihr, wobei der Name auch durch die Wiederholung nicht weniger fremd klingt. »Gwens Tochter.«
Sally zieht eilig ihren Mantel aus und breitet ihn über die Schultern ihrer Großmutter. »Zieh wenigsten den an.«
»Ich hasse Waschbärfellmäntel«, knurrt die alte Frau.
»Bitte, Grandma, Waschbären
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