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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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kurzen, steifen Zügen fort vom Schiff. Um sich herum sah er weitere Köpfe im Wasser. Die Luft war wie Eis. „Wir sind voll!“, rief jemand in weiter Entfernung. „Wir können niemanden mehr aufnehmen, sonst sinken wir. Hauen Sie ab!“ Er hörte das Aufklatschen von Rudern.
    Matheus wandte den Kopf. Hinter sich sah er die Titanic schwarz vor dem tiefblauen Sternenhimmel wie einen Scherenschnitt. Ihr Rumpf stellte sich hoch auf, das Heck in den Himmel gerichtet, und verharrte so, bewegungslos.
    Dampf zischte. Da brachen Funken aus den Schatten, und das gewaltige Schiff brach in zwei Hälften. Hunderte wurden ins Wasser geschleudert, schrien, kreischten. Die Bugseite versank. Das hintere Ende des Schiffs fand seine waagerechte Haltung wieder, als wollte es ohne den vorderen Teil weiterfahren, und blieb so für einige Momente. Dann richtete es sich erneut auf und wurde hinabgezogen, langsam, langsam, wie ein Fahrstuhl ins Totenreich. Die Letzten, die sich noch an der Reling festgehalten hatten, ließen sich fallen und stürzten viele Meter tief ins Wasser.
    Er sah den Rest des Hecks im Meer verschwinden. Das Wasser sprudelte. Dann glättete es sich. Das Schiff war verschlungen worden. Die verzweifelten Rufe von Hunderten von Menschen gellten durch die Nacht.
    Matheus wandte sich um und schwamm den Booten entgegen. Aber den Ruderschlägen nach zu urteilen, entfernen sie sich, statt dass sie näher kamen. Hörten sie die vielen Hilfeschreie nicht? Wenn er sich wenigstens an den Rand eines Bootes klammern könnte!
    Menschen ohne Rettungsgürtel hielten sich an anderen fest, wurden abgeschüttelt, versanken. Da, war das ein schwimmender Schrank? Matheus hielt darauf zu. Dann sah er, dass bereits Dutzende um ihn kämpften. Schreie hallten in die Nacht.
    Er konnte die Beine nicht mehr spüren. Sein Körper erlahmte, die Schwimmzüge wurden kleiner, kraftloser. Matheus japste um Luft.
    Wellen gurgelten über die niedergedrückten Wände des Faltboots. Nele hockte an seinem Rand und streckte die Hand nach einer der beiden Zwillingsschwestern aus. Sie bekam den Arm des Mädchens zu fassen und zog es heran. Das Mädchen hauchte: »Ist das kalt, ist das kalt!«
    Nele hievte sie an Bord. Das dickliche Mädchen schlotterte, es hockte wie ein Häuflein Elend im Boot und rieb sich die Schul tern. Nele hielt wieder Ausschau nach Matheus. Er musste doch in der Nähe sein! Sie rief seinen Namen.
    Da hob plötzlich das Mädchen den Kopf. »Das ist meine Schwester«, sagte es. »Betty!« Es kroch zum Rand des Bootes. »Betty, hierher!«
    Nele sah nichts in der Richtung. »Bist du dir sicher?«, fragte sie.
    Ehe Nele nach ihm greifen konnte, war das Mädchen wieder ins Wasser gesprungen. »Bleib, nein, nicht wegschwimmen!«, rief sie und versuchte, die Kleine zu packen, aber sie entwischte ihr. Wild keuchend schwamm das Mädchen fort in die Dunkelheit.
    »Wir müssen ihr hinterherfahren«, sagte Nele.
    »Auf keinen Fall.« Die Männer hantierten mit den Rudern. Sie begannen, das vollgelaufene Boot von der Titanic wegzufahren. »Wenn wir hier fortkommen, ohne zu kentern, können wir von Glück reden.«
    Längst hingen ein Dutzend Leute an den Seiten des Boots. Zu viele wollten hinein. Im Dunkel riefen immer mehr um Hilfe, sie wimmerten, sie baten. Ein Chor von Sterbenden umschwamm das Boot und flehte um Erbarmen.
    Gänsehaut zog über Cäcilies Rücken. Sie hielt Samuel die Ohren zu, und am liebsten hätte sie auch ihre eigenen verschlossen. Nie hatte sie etwas so Grausiges gehört: Das Röcheln, das Jaulen der Ertrinkenden, das Winseln um Hilfe, das beschwörende Anrufen der Rudernden, bitte zurückzukehren.
    Eine von diesen Stimmen gehört Matheus, dachte sie. Sie sagte: »Wir müssen umdrehen und Menschen retten.«
    Es war still. Keiner im Boot antwortete.
    »Wir müssen umdrehen!«, sagte sie noch einmal.
    »Nein.« Lyman schüttelte den Kopf. »Die stürmen sonst unser Boot, und wir sterben alle.«
    Schwimmer näherten sich. Man hörte sie im Wasser keuchen. Tapfer kraulten sie heran.
    Cäcilie versuchte Matheus zu erkennen, obwohl sie ihn nie zuvor so kraulen gesehen hatte.
    »Die umzingeln uns«, sagte Lyman. Er hob das Ruder, um nach einem der Schwimmer zu schlagen. »Helfen Sie, das Boot zu verteidigen«, befahl er den anderen Ruderern. »Die bringen uns sonst zum Kentern.«
    Auch die anderen hoben nun ihre Ruder und wehrten Schwimmer ab.
    »Vorsicht, vorne am Bug!«, rief Lyman. Ein Schwimmer umklammerte dort die Kante des

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