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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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Wellen vor sich hertrieb. Bei jeder Woge schwappte Wasser über die Reling. Man sah das Boot kaum noch, nur ein schmaler Rand war da, und sie standen bis zu den Knien im Meer.
    Er wagte es nicht, Wasser hinauszuschöpfen, geschweige denn, in Richtung des Dampfers zu rudern. Jede Gewichtsänderung konnte den letzten Ausschlag geben, und das Boot versank endgültig.
    Das Meer hatte ihn, Matheus, bereits im Maul. Er zappelte noch ein wenig, aber er konnte nicht entrinnen, Füße und Waden und Knie waren schon verschlungen. Auch Nele hatte Angst, wie er deutlich spürte: Ihre Hand drückte die seine so fest, als könne sie ihr beim Untergehen Halt bieten.
    Der Morgen graute. Am Himmel erloschen bereits die Sterne. Wenn er wenigstens noch einmal die Sonne sehen könnte, ein letztes Mal!
    »Und wenn wir zum Schiff schwimmen?«, sagte sie. »Meinst du, wir schaffen es vielleicht?«
    Er durfte ihr den Mut nicht nehmen. Andererseits wollte er sein Leben nicht mit einer Lüge beenden. »Es ist zu weit. Das sind mindestens drei Kilometer.«
    Sie schwiegen und mit ihnen die anderen, die sich bemühten, auf dem sinkenden Boden die Balance zu halten. Der Steward, der neben Matheus stand, sagte: »Jetzt können wir’s vergessen. Sie sind stehen geblieben.« Tatsächlich war der Dampfer seit einiger Zeit nicht mehr näher gekommen. Die Reihen heller Lichter strahl ten an seinem Rumpf in gleichbleibender, unerreichbarer Entfernung.
    »Warum macht das Gott?« Nele war den Tränen nahe. »Erst rettet er uns, und dann lässt er uns doch umkommen.«
    Seltsam, dachte Matheus. Ich hatte mich schon in den Tod gegeben vor ein paar Stunden, als ich allein im Meer getrieben bin. Und Gott hat mir eine Verlängerung geschenkt. In dieser Verlänge rung stehe ich nicht neben Cäcilie, sondern neben Nele. Ich halte ihre Hand. Was soll das alles?
    Er wendete vorsichtig den Kopf und sah sie an. »Ich weiß es nicht.«
    »Immer wird er als gutes und liebevolles Wesen dargestellt, und wenn es darauf ankommt, lässt er uns verrecken. Ich pfeife auf diesen Gott!«
    »Die vielen Toten, auch die Kinder, das muss ihm sehr wehtun. Wir sind seine Geschöpfe. Unsere Angst schmerzt ihn, da bin ich sicher.«
    »Warum greift er dann nicht ein? Er könnte es doch, oder etwa nicht?«
    »Wenn Gott jeden Krieg verhindern würde, wie frei wären wir dann noch? Wir wären ein Spielzeug, das er zu Gutem zwingt, sonst nichts.«
    Nele sagte:
    »Kriege sind was anderes. Da schießen wir uns gegenseitig tot. Aber das hier – wer kann etwas dafür?«
    »Niemand. Du hast recht. Ich weiß nicht, warum er es zulässt.« Matheus fror nicht mehr. Das angenehme Säuseln setzte bereits ein wie vor ein paar Stunden. Die Kälte griff nach oben, sie griff nach seinem Herzen und gaukelte ihm Wärme vor. »Oder vielleicht kann doch jemand etwas dafür: der Konstrukteur, der zu wenige Rettungsboote eingeplant hat, weil er Geld sparen wollte. Und die Menschen, die in halb leeren Booten weggerudert sind, statt uns herauszufischen.«
    »Bleiben wir mal bei Gott. Wer sagt mir, dass er gut ist?«, fragte sie.
    »Das haben Menschen seit Jahrtausenden erlebt. Die Schriften sind in der Bibel zusammengefasst.«
    »Aha, Schriften. Hast du die Bibel gelesen? Ich meine, ganz, von Anfang bis Ende.«
    »Natürlich.«
    »Könnte doch alles eine Erfindung sein. Ich meine, die Menschen, die es aufgeschrieben haben, könnten Gott erfunden haben.«
    »Ihre Berichte könnten aber auch wahr sein. Einige Teile der Bibel sind sehr alt, sie –«
    »Lass uns nicht streiten. Uns bleiben nur noch diese Minuten.« Sie schwieg einen Moment, dann sagte sie: »Ich hätte dich gern richtig kennengelernt, Matheus.«
    Er schluckte. »Und ich dich, Nele«, sagte er.
    Das Morgengrauen gab nur wenig Licht, aber er meinte, in einiger Entfernung etwas Weißes vorüberziehen zu sehen. Er stutzte. Ein Eisberg konnte das nicht sein, es bewegte sich zu schnell, es sah eher aus wie ein Tuch, das über das Wasser flog. Ein Segel! Er brüllte: »Hilfe! Helfen Sie uns!« Er steckte sich die tauben Finger in den Mund und versuchte zu pfeifen. Nachdem er einige Male nur herumgespuckt hatte, gelang ihm ein gellender Pfiff.
    Eine Weile hörte man nichts. Dann kam aus dem Dunkel ein Pfiff zurück, ein lang anhaltender mit einem mechanischen Trillern darin.
    Der Steward sagte: »Eine Offizierspfeife! Dort muss ein Offizier sein. Er hat Ihren Pfiff gehört!« Jetzt schrien sie alle, zwei Dutzend Männer brüllten um ihr Leben, dazwischen

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