Tanz unter Sternen
unterlaufen wird. Was nützt es unserem Land, eine große Armee zu haben, wenn es bankrottgeht?«
Der Kaiser kniff die Augen zusammen. An der Rechten, die er um den Feldherrnstab geschlossen hielt, traten die Knöchel weiß hervor. »Dass du es wagst, in diesem Ton mit mir zu reden! Wir werden nicht einknicken vor der Feinden, niemals. In dieser Stunde, wo alle Welt rüstet und rüstet, soll ich die Ausgaben zusammenstreichen? Du hörst dich an wie ein Agent der Tripelentente!« Selbst seine hochgezwirbelten Bartspitzen schienen vor Wut zu zittern. »Ich sage dir, was ich tun werde. Ich werde die Ausgaben zur Kriegsvorbereitung noch erhöhen! Das ist die Antwort, die Frankreich auf seinen schäbigen Angriff erhält. Am Ende werden sie die Zeche zahlen. Und du, Ludwig, überlege dir gut, auf welcher Seite du stehst.« Damit stampfte er zur großen Flügeltür und verließ den Saal.
Ludwig stand da und konnte sein Scheitern nicht fassen. Die Bedeutung der kaiserlichen Worte sank wie Blei in ihm nieder. Die Regierung war blind, der Präsident der Reichsbank ebenfalls, und nun hatte er auch den Kaiser für sein Anliegen verloren. Der Zusammenbruch stand unmittelbar bevor.
Er tappte nach draußen, stieg in den Wagen ein. Während Ulrich ihn durch Berlin fuhr, dachte er: Hätte ich diesen Spion von Anfang an ernst genommen, wäre es nicht so weit gekommen. Ich wäre nicht verantwortlich.
Aus Arroganz, aus Selbstüberschätzung hatte er das deutsche Volk zugrunde gerichtet, das Volk von Goethe, Beethoven, Leibniz und Bach. Er, Ludwig Delbrück, hatte sein Ende besiegelt.
Wenn sich an der Börse herumsprach, dass er die Schuld am Kollabieren des Kapitalmarkts trug, war er erledigt. Und anschließend mitzuverfolgen, wie sein Land vernichtet wurde, Tag für Tag die Niederlagen zu erfahren, die er verursacht hatte, das überstieg seine Kräfte.
Zu Hause angekommen, ging er hinauf ins Büro und arbeitete, bis der Schreibtisch leer war. Anschließend legte er sein Testament in die Mitte des Tischs. Es war der 12. März 1913. Ludwig Delbrück ging ins Badezimmer, knüpfte eine Schlaufe, nahm einen letzten Schluck Wasser und erhängte sich.
Seine Frau fand ihn einige Stunden später, als sie von einem Ausflug mit Freundinnen heimkehrte.
Cäcilies Bruder Adelbert wurde, nur fünfzehnjährig, an des Vaters Stelle Teilhaber des Bankhauses Delbrück, Schickler & Co. Den Vater beerdigten sie auf dem Friedhof hinter dem Halleschen Tor. Die Sonne strahlte warm, als begriffe sie das Unglück nicht.
Am Abend nach der Beerdigung wagte sich Cäcilie zum ersten Mal in Samuels Zimmer. Schon schöpfte Matheus Hoffnung, dass sie den Tod des Vaters besser verkraftet haben könnte als befürchtet – da hörte er, wie sie drinnen sagte: »Ich helfe dir beim Aufräumen, mein Liebling. Du musst aber mitmachen. Nein, Schatz, jetzt wird nichts Neues aus dem Regal geholt.« Sie wischte Staub und setzte alle Spielsachen an ihren Platz.
Da Deutschland im Wettrüsten mit den Entente-Mächten finanziell nicht länger mithalten konnte, sah sich die Regierung gezwungen, ihnen den Krieg zu erklären. Sie nahm den Mord am österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand zum Anlass. Am 1. August 1914 erklärte Kaiser Wilhelm II. vom Balkon des Berliner Stadtschlosses einer jubelnden Menge: »Will unser Nachbar es nicht anders, gönnt er uns den Frieden nicht, so hoffe ich zu Gott, dass unser gutes deutsches Schwert siegreich aus diesem schweren Kampfe hervorgeht.« Noch am selben Tag erfolgte die Mobilmachung.
Am 4. August beschloss der Reichstag Kriegskredite. Neue Anleihen wurden ausgegeben: Schmiede das deutsche Schwert – zeichne die Kriegsanleihe! Einer bösen Ahnung folgend, stellten sich Tausende bei den Banken an und tauschten ihr Papiergeld in Goldmünzen um. Eilig wurde die Verpflichtung der Banken, Geld scheine in Gold umzutauschen, für die Zeitdauer des Krieges ausgesetzt, man versprach, sie »nach dem gewonnenen Krieg« wieder einzuführen.
Die Staatenbündnisse in Europa führten zu einer Kettenreaktion der Kriegserklärungen. Österreich-Ungarn hatte Serbien den Krieg erklärt, Deutschland hatte Russland und Frankreich den Fehdehandschuh hingeworfen. Daraufhin traten Australien, Kanada, Großbritannien, das Osmanische Reich, Japan, Italien, Bulgarien und Rumänien in den Krieg ein. Die Völker begrüßten ihn freudig, jedes Land rechnete sich Chancen auf einen schnellen Sieg aus.
Cäcilie trug Samuels Handschuhe in ihren Manteltaschen,
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