Tanz unter Sternen
dachte nach. »Dein Vater schreibt Sitzungsprotokolle, wenn das Preußenkonsortium tagt. Bringe sie mir.«
»Ich weiß gar nicht, wo er die aufbewahrt.«
Lyman lächelte. Er trat näher und strich ihr zärtlich über das Gesicht. »Finde es heraus für mich. Tust du das?«
Seine Berührung rief in ihr einen so starken Abscheu hervor, dass sie zu zittern begann. Alles, was sie einmal an ihm schön gefunden hatte, widerte sie nun an: der schlanke Körper, das aristokratische Gesicht, die Cartier Santos am Handgelenk und der britische Dialekt. »Ich … Ich kann nicht.« Sie wich von ihm zurück.
»Cäcilie«, sagte er, »ich leide doch genauso wie du unter den Erinnerungen. Jede Nacht träume ich von der Todesangst, die wir hatten. Aber es gab auch Schönes an Bord, erinnerst du dich?«
»Matheus kommt jeden Moment nach Hause.«
»Wir sind auf Gedeih und Verderb verbunden, du und ich, für immer. In unserem gefährlichen Auftrag genauso wie in der Liebe. Ziere dich nicht, mein Vögelchen.«
Sie hörte Härte und Gewalt in seiner Stimme, obwohl er sich bemühte, sie mit Worten zu liebkosen. Lyman war zornig. Er würde sich nicht abweisen lassen. Ahnte er, dass sie ihn absichtlich verraten hatte? Mit einer schnellen Bewegung hob sie den Schürhaken auf und hielt ihn drohend vor sich. »Ich will, dass du sofort meine Wohnung verlässt.«
»Du hast einen Vertrag unterschrieben.«
»Ich pfeife auf den Vertrag! Ich will dich nie wiedersehen!«
Er holte weiße Handschuhe aus den Taschen seines Jacketts hervor. Ohne Eile zog er sie an. Sein Blick war eine eiserne Klammer, aus der er sie nicht entkommen ließ.
»Was soll das …?«
Lyman griff an seinen Rücken. Einen Moment später hielt er eine Pistole in der Hand. »Es gibt für mich keinen Grund, dich am Leben zu lassen, meine kleine Verräterin.« Die Pistole sah aus wie die, mit der er in der Nacht des Untergangs geschossen hatte, sie besaß einen dünnen eisernen Lauf und einen Haken an der Spitze. Lyman hielt ihr die Mündung vor das Gesicht. »Leg das Ding weg.«
Sie gehorchte.
»Und jetzt knie dich hin.«
Er erschießt mich, dachte sie. Sie sank auf die Knie.
Lyman drückte ihr die Pistolenmündung an den Kopf und sagte: »Die Kugel bricht durch deinen Schädelknochen und fährt dir ins Gehirn. Es tut noch ein bisschen weh anfangs, aber dann ist es rasch vorbei. Ein besserer Tod, als zu ertrinken, findest du nicht?«
Die Angst wurde übermächtig. Cäcilie bebte am ganzen Leib, und es brach aus ihr heraus. »Bitte, ich … ich habe gelogen. Vater hat mir von den Kriegsanleihen erzählt.«
»Warum sollte ich dir das glauben?«
»Weil ich Dinge weiß, die ich gar nicht wissen dürfte. Das Deutsche Reich will eine Flotte bauen, die so stark ist, dass die Royal Navy sie nicht angreifen kann. Jedenfalls nicht, ohne selbst zu große Verluste zu erleiden.«
»Das kann man in jeder Zeitung lesen.«
»Vater hat gesagt, das Geld gewinnt den Krieg. Um dem Reich einen Vorsprung zu verschaffen, planen sie, ungedeckte Kriegsanleihen auszugeben. So viele, dass sie das Geld nur mit Beutegut zurückzahlen könnten. Aber damit bringen sie das Finanzsystem in Gefahr. Wenn mit dem Plan etwas schiefgeht, stürzen wir in eine Inflation. Er hat gesagt, dass sie vier Milliarden Mark in Staatsanleihen ausgegeben haben und dass die Kurse sinken und dass das System zusammenbrechen könnte.«
»Was bist du doch für eine jämmerliche Frau.« Er ging in die Hocke, kam herab zu ihr und raunte: »Deinen eigenen Vater zu verraten, dein eigenes Land!«
Sie schluckte. Ihr Kopf wurde heiß.
»Aber ich hatte bei dir mit nichts anderem gerechnet. Du bist einfach eine untreue Seele. Wenn du einen Vorteil für dich siehst, schlägst du zu, nicht wahr? Du hast deinen Mann betrogen. Schämst du dich nicht?«
Tränen schossen ihr in die Augen.
»Dein Kind hast du alleingelassen. Dein wehrloses kleines Kind! Welche Mutter würde so etwas tun?«
Samuel ist tot, dachte sie. Er hat recht, ich bin schuld da ran. Ich habe ihn umgebracht, ich hätte mich um ihn kümmern müssen!
»Und jetzt stößt du deinem eigenen Volk den Dolch in den Rücken. Dem ganzen Volk. Eine erbärmliche Egoistin bist du. England braucht deine Dienste nicht länger, Cäcilie, wer braucht Abschaum wie dich? Mit der Schuld wirst du leben müssen.« Er erhob sich und legte die Pistole auf den Tisch. »Wenn du es kannst.«
Durch den Tränennebel sah sie nichts, sie blinzelte, Tränen tropften auf den Boden. Ja, er
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