Tanz unter Sternen
Entente-Mächten, diskret deutsche Staatsanleihen zu kaufen. Sie sammelten immer mehr davon. Als Frankreich die Anleihen schließlich auf einen Schlag verkaufte, geriet der deutsche Kapitalmarkt ins Wanken. Ludwig Delbrück sah seine Befürchtungen bestätigt.
Umgehend suchte er den Kaiser auf. Im Stadtschloss auf der Spreeinsel wartete er unter einem pompösen Deckengemälde und plante das vor ihm liegende Gespräch. Viel hing davon ab, den Kaiser nicht mit Vorwürfen in die Ecke zu drängen. Wilhelm reagierte empfindlich, wenn man ihm eine Schwäche unterstellte.
Er hatte die gesamte Kindheit und Jugendzeit lang darunter gelitten, kein gesunder Thronfolger zu sein. Dass bei seiner Geburt sein linker Arm beschädigt worden war, hatte die strenge englische Mutter als persönliches Versagen aufgefasst, und fortan ver suchte sie, die Behinderung ihres Sohnes zu beheben. Sie hatte den kranken Arm in ein frisch geschlachtetes Kaninchen einnähen lassen. Als das nichts fruchtete, ließ sie Wilhelm Metallgerüste umschnallen, die seine Haltung verbessern sollten. Der Arm blieb kürzer als der rechte und war bis heute nur eingeschränkt beweg lich. Schlimmer als der körperliche Schaden aber war der seelische. Wilhelm kämpfte, solange Ludwig ihn kannte, gegen die innere Unsicherheit an. Er trat herrisch auf, forcierte die militärische Aufrüstung des Kaiserreichs und das Erwerben weiterer Kolo nien in Afrika und der Südsee, er verlangte, dass das Deutsche Reich als Weltmacht behandelt wurde.
Um anderen zu imponieren, kleidete der Kaiser sich in Offiziersuniformen aller Herren Länder, die er mitunter sechs Mal am Tag wechselte. Da war die rote Husarenuniform mit grünem Ordensband. Die Uniform der First Royal Dragoons. Die von ihm selbst entworfene deutsche Admiralsuniform. Da waren Stiefel, die über die Knie reichten, und aufwändig gefertigte Schulterklappen.
Ludwig schreckte auf: Der Kaiser betrat den Raum, heute in Gard e - du-Corps Uniform mit schwarzem Kürass und Purpurmantel, sogar den langen Feldherrnstab trug er bei sich. Schlechter hätte es nicht kommen können – der Kaiser erschien in französischer Uniform, während er, Ludwig, ihm klarmachen musste, dass Frankreich dabei war, das Deutsche Reich zugrunde zu richten.
»Mein lieber Ludwig«, sagte der Kaiser schroff, »du weißt, ich habe wenig Zeit.«
»Wieder endlose Delegationen?«
»Nicht nur das, nicht nur das. Die vermaledeite Presse plagt mich. Womöglich muss ich Madlitz diesmal ausfallen lassen.«
Das sagte er jedes Jahr und kam dann doch. »Ich habe ein wichtiges Anliegen, Wilhelm. Frankreich hat heimlich deutsche Staatsanleihen angesammelt und sie heute auf einen Schlag verkauft.«
»Du konntest das nicht verhindern?«
»Niemand kann das. Wir müssen die Ausgaben reduzieren, wir dürfen das Reich nicht noch tiefer verschulden, sonst droht der Kollaps.«
»Nun übertreibe mal nicht. Der wirtschaftliche Aufschwung ist nicht aufzuhalten. Ich habe seit zwanzig Jahren den technologischen, naturwissenschaftlichen und industriellen Fortschritt gefördert. Dieser Fortschritt wird uns vorantragen. Noch ein, zwei Jahre, dann überflügeln wir als Weltmacht alle anderen Nationen.«
Ludwig brach der Schweiß aus. Wie sollte er es ausdrücken, ohne den Kaiser zu erzürnen? »Ich habe bereits mit der Regierung gesprochen. Sie sagt, solange die Konservativen direkte Steu ern verhindern, bleibt ihr nichts anderes übrig, als den Staat höher zu verschulden, nur so kann sie die Kosten der bevorstehenden Mobil machung stemmen. Aber wenn wir das Rüstungsbudget nicht auf eine solide Grundlage stellen –«
»Mein Großvater hat mir die Aufgabe eines Kaisers beigebracht, ›allzeit Mehrer des Deutschen Reiches zu sein‹«, unterbrach ihn Wilhelm. »Wir brauchen ein starkes Heer und eine Kriegsflotte, die sich mit den Flotten Englands und Frankreichs messen kann. Anders ist internationales Prestige nicht zu erlangen.«
»Das sehe ich ein. Ich sage auch gar nichts dagegen. Nur der Weg dorthin … Wir geben Milliarden aus für die Aufrüstung und lassen auf dem internationalen Parkett die Muskeln spielen. Währenddessen sind wir von einem gefährlichen Infekt befallen, dem Infekt eines schwachen Kapitalmarkts. Immer mehr Goldstücke zu zehn und zwanzig Mark werden durch Papiergeld ersetzt. Eigentlich sollten die Geldscheine wenigstens zu einem Drittel mit Goldreserven gedeckt bleiben, aber die Reichsbank gibt so viele heraus, dass die Sicherung
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