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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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und als Matheus verwundert nach dem Grund fragte, erklärte sie: »Der Junge zieht sich nie richtig an. Wenn dann ein kalter Wind weht, hat er eisige Finger.«
    Auf französischem Boden zog sich ein Stellungskrieg hin, der zahllose Menschenleben forderte. Die deutschen Frauen strickten Strümpfe für die Männer an der Front. Sie sammelten Kartoffeln und Geld für die Lazarette.
    Verbissen kämpften die Armeen, angestachelt durch Propagandaberichte. Man sagte ihnen, die Feinde seien für Massenvergewaltigungen und Verstümmelungen verantwortlich. So standen sich auf beiden Seiten der Front Männer gegenüber, die Frauen und Kinder verteidigen wollten.
    Die Deutschen ließen vom Wind Chlorgas in die Schützen gräben der Gegner wehen und brachten damit Tausende um. Die Franzosen antworteten mit Phosgen, sodass die Deutschen an ätzendem Lungengift erstickten.
    Cäcilie, nach außen hin eine tatkräftige, gesunde Frau, die halbtags als Empfangsdame beim ADAC arbeitete, kaufte neue Spielsachen für Samuel. In einer Schachtel sammelte sie ihm Federn und schöne Steine, sie sagte: »Warum haben wir nicht viel früher angefangen, gemeinsam zu sammeln?«
    Die meiste Zeit des Tages verbrachte sie allerdings damit, von Geschäft zu Geschäft zu laufen, um entsprechend ihrer Zuteilungs karten Lebensmittelrationen zu erhalten. Das Geld, das sie von ihrem Vater geerbt hatte, half nichts. Vielerorts waren die Regale leer.
    1916 verdarb durch den verregneten Herbst bei einer Kartoffelfäule die Hälfte der Ernte. Deutschland hungerte. Verzweifelt gaben die Städte Steckrüben an die Bevölkerung aus.
    Brände in Berlin loderten lange, nahezu alle Feuerwehrmänner waren an der Front. Bis zum 1. Dezember 1916 wurden zehn Millionen Männer eingezogen, das entsprach dreißig Prozent der männlichen deutschen Bevölkerung. Matheus blieb verschont. Er hatte viele Beerdigungen abzuhalten.
    1917 traten die Vereinigten Staaten von Amerika in den Krieg ein, außerdem China, Griechenland und Brasilien. Familienväter erschossen sich gegenseitig, Marineangehörige in U-Booten versenkten Marineangehörige in Schiffen, weil sie unter anderer Fahne fuhren. Die ganze Welt schoss und lud nach und schoss.
    Cäcilie kaufte Samuel ein Buch mit Kinderreimen, sie las ihm am Abend daraus vor. »Regen, Regentröpfchen / regnet auf mein Köpfchen / regnet in das Rumbelfass / alle Bübchen werden nass.«
    Matheus stand in der Tür und sah, wie sie sanft über das leere Kopfkissen strich. Er sagte leise: »Er fehlt dir, nicht wahr?«
    Aber sie tat, als habe sie es nicht gehört.
    Beim Frühstück am nächsten Morgen fragte sie plötzlich: »Wo ist Samuel?«
    Matheus hatte das Gefühl, ein Drahtseil würde seine Brust fester und fester zusammenschnüren. »Er ist gestorben, mein Liebling.«
    »Kannst du … Kannst du mich halten?«, flüsterte sie.
    Er stand auf und ging um den Tisch zu ihr hin. Er kniete sich vor ihren Stuhl und nahm sie in den Arm. Cäcilie grub ihr Gesicht in seine Halsbeuge. Tränen nässten seinen Hals, ihr Körper bebte.
    Matheus strich ihr über den Rücken. »Ich weiß.«
    Er brachte sie hinüber zum Sofa. Lange hielt er sie im Arm.
    Matheus versuchte, Cäcilie im Hilfsdienst zur Kinderbetreuung unterzubringen. Die meisten Männer waren an der Front, die Frauen arbeiteten, um ihre Kinder und die alt gewordenen Eltern zu ernähren. Deshalb hatte die Kirchengemeinde diesen Hilfsdienst gegründet. Matheus hoffte, der Umgang mit den Kindern würde sie von Samuel ablenken, indem sie ihre Fürsorge diesen vernachlässigten Kindern schenkte.
    Schon nach dem ersten Tag kam Cäcilie verstört heim. Sie vergleiche jeden Jungen mit Samuel, sagte sie, Alter, Statur, Wortwahl, überall sehe sie Samuel oder Kinder, die jünger seien als er oder solche, die kräftiger seien als er, ähnliche Bilder malten, genauso konzentriert ihre Schuhe banden.
    Sie versuchte es noch eine halbe Woche, dann ging sie nicht mehr hin. Sie wolle nicht darüber reden, sagte sie. Auch als die Polizei ihnen meldete, man habe den englischen Spion an der Grenze nach Belgien gefasst, blieb Cäcilie stumm. Sie nahm kommentarlos zur Kenntnis, dass Lyman Tundale, der eigentlich Henry Holloway hieß, zwei entführte Kinder bei sich hatte und sie mit einem Kletterrahmen über den Hochstromzaun hieven wollte. Als man ihn festnahm, hatte er versuchte, den Soldaten weiszumachen, die Kinder gehörten zu ihm und ihre Mutter werde nachkommen.
    Die zugeteilten Nahrungsrationen wurden

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