Tanz unter Sternen
auf die Geschwindigkeit des Schiffs.« Sie wischte sich über die Augenbrauen. »Der vierte Schornstein bringt nur frische Luft in die Maschinenräume und die Küchen. Ich weiß, es gibt Dutzende Dampfschifflinien über den Atlantik, und seit Jahren läuft ein Wettkampf, wer die Überfahrt am schnellsten schafft. Sie dauert in der Regel sechseinhalb Tage. Wer mit fünfundzwanzig Knoten rast, spart einen Tag ein. Das würde theoretisch erlauben, öfter hin und her zu fahren. Aber da Passagierschiffe immer am selben Tag ihren Hafen verlassen, damit es für die Fahrgäste planbar ist, bringt der eingesparte Tag nur einen höheren Kohleverbrauch und zusätzliche Zeit, die das Schiff unnütz im Hafen liegt. Die White Star Line hat sich entschieden, bei diesem sinnlosen Wettrennen nicht länger mitzumachen. Dafür bieten wir einen Luxus an Bord, der den zusätzlichen Reisetag zum Vergnügen macht. Die Speisen auf der Titanic sind ausgezeichnet, und Sie haben Platz und wunderbare Freizeitangebote. Reisen Sie allein?«
»Nein, in Begleitung.«
»Auch Ihre Frau wird begeistert sein.« Augenzwinkernd ergänzte sie: »Oder Ihre Geliebte?«
»Ich bin Pastor«, sagte er, und als er sah, wie sie errötete, fügte er versöhnlich hinzu: »Ich reise mit meiner Frau und meinem siebenjährigen Sohn. Was kostet die Überfahrt nach New York?«
»Sie müssten zuerst mit dem Zug nach Cherbourg fahren, das wissen Sie?«
Er nickte, obwohl er nicht gewusst hatte, dass der Abfahrthafen so weit entfernt sein würde. Für einen Moment geriet seine Entscheidung ins Wanken.
»Anschließend hängt es ganz von Ihnen ab.« Sie öffnete ein großes Buch. »In der zweiten Klasse wären es, für Sie alle drei zusammen, dreihundertvierzig Mark.«
»Dann brauchen Sie mir die Preise für die erste Klasse gar nicht mehr zu sagen. Ich bekomme die Kosten zwar zurückerstattet, aber womöglich nicht für Frau und Kind. Die dritte Klasse würden Sie mir nicht empfehlen, nehme ich an?«
»In der dritten Klasse fahren hauptsächlich Auswanderer. Schwe den, Libanesen, Iren. Und die Kabinen sind eng. Auch dort ha ben Sie eine Heizung und ein Waschbecken, wir sind modern aus gestattet. In der zweiten Klasse sind die Kabinen aber geräumiger, außerdem gibt es einen Kleiderschrank und einen Spiegel für die Damen. Vielleicht haben Sie Glück und das vierte Bett bleibt frei, dann haben Sie als Familie eine Kabine für sich.«
Er holte seine Brieftasche hervor. Auf dem luxuriösesten, größten Schiff der Welt würde es ihm gelingen, Cäcilies Bewunderung zurückzugewinnen. Ich werde auf hoher See mit Cäcilie tanzen, dachte er, ich werde der Mann sein, den sie sich immer gewünscht hat. Die Titanic wird unser Neubeginn.
Als er wenig später auf dem Heimweg am Café Bauer vorüberkam, meinte er, Cäcilies blauen Hut zu sehen: Eine Frau mit blauem Hut setzte sich mit einem Kavalier an einen Tisch, der Mann stand auf und schob ihr den Stuhl zurecht. Matheus spürte den Impuls, hineinzugehen und sich Gewissheit zu verschaffen.
Aber das konnte sie nicht sein. Cäcilie war zu Hause. Sie würde ihm um den Hals fallen, wenn er ihr die Tickets zeigte.
6
Seine mehlweißen Lippen hätten zu einem Toten gepasst. Da von abgesehen, wirkte er wie ein junger Prinz. Zwei Meter groß, schlank, still und mit dem Gesicht eines Dandys. Er ist reich, dachte Cäcilie. Sie wusste, wie man aussah, wenn man Geld hatte. Da waren zum einen die maßgefertigten Schuhe, nicht zu vergleichen mit der billigen Fabrikware, die Normalsterbliche trugen. Dann die Cartier Santos am Handgelenk: Während der Pöbel Taschenuhren vorzog, trug die Elite moderne teure Armbanduhren von Edmond Jaeger oder Louis Cartier.
Das Café Bauer war den preiswerten Restaurants weit überlegen, in die sie Matheus einzuladen pflegte: Hier roch es nicht beißend nach Sauerkraut und gebratenem Schweinefleisch wie in den verrauchten Gaststätten für das einfache Volk, es spielte auch keine Militärmusik, sondern hier ließ ein Reproduktionsklavier an der Wand automatisch Tänze erklingen. Als das Welte-Mignon vor sieben Jahren auf den Markt gekommen war, hatte man es wie ein Wunder bestaunt. Heute noch konnten sich nur wohlhabende Kreise ein solches Instrument leisten. Ihr Vater besaß eines, natürlich.
»Champagner, bitte«, sagte der Fremde zum Kellner. »Für Sie auch?«
Cäcilie nickte. Jetzt weißt du es endgültig, dachte sie. Er ist reich.
»Und Kaviarschnitten.«
Etwas stimmte nicht mit seiner
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