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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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um.
    Cäcilie folgte seinem Blick. Die Wände des Cafés hatte der Historienmaler Anton von Werner mit Szenen aus dem alten Rom bemalt. Es war ein typischer Berliner Widerspruch: Draußen wütete der Verkehr an der Kreuzung Friedrichstraße und Unter den Linden, drinnen perlte Klaviermusik im klassischen Ambiente des Cafés. Sie verband sich mit dem Lärm zu einem Flair von Weltläufigkeit.
    Wieder sah er so verletzlich aus. »Mögen Sie Kunst?«, fragte er.
    »Ich weiß es nicht. Ich habe kaum noch Zeit für eigene Interessen. Mein Alltag besteht aus Waschen, Bügeln, Flicken und dem Einkochen von Obst.« Sie seufzte. »Früher, bei meiner Familie, kam eine Waschfrau namens Babette zu uns ins Haus, und wir hatten eine Köchin und mehrere Dienstmädchen, die das Essen zubereitet haben. Meine Mutter schmeckte die Speisen nur ab. Wenn sie Lust hatte, verzierte sie den Tisch, den die Dienstmädchen gedeckt hatten, mit Blumen und bestickten Servietten. Während die Dienstmädchen nach dem Mittagessen das Geschirr gespült haben, hat meine Mutter einen Spaziergang gemacht. Aber beim Gehalt meines Mannes können wir uns keine Bediensteten leisten.«
    »Eine schöne Frau, die hart arbeiten muss.« Der Engländer fasste über den Tisch und berührte mit den Fingerspitzen ihre Hand. Cäcilie erschauderte unter seiner Sanftheit. Sie wusste, dass sie sich wehren sollte. Trotzdem hielt sie still und wollte den zauberhaften Augenblick bewahren.
    Samuel warf den Gummiball gegen die Hauswand. Der Ball prallte ab, und er fing ihn wieder. Nun warf er ihn höher. Um ihn zu fangen, musste er drei Schritte zurückgehen. Da war ein Fleck von Taubenkot. Samuel versuchte, ihn zu treffen.
    Um die Ecke kam ein Trupp von Kindern marschiert, die meisten von ihnen kannte er, sie wohnten wie er in der Berliner Straße, manche sogar in seinem Hausaufgang. Sie ahmten Trommeln und Pfeifen nach: »Rumwidibum, rumwidibum, trum trum trum!«
    Der Hauptmann – es war der Hausmeisterssohn, ein muskulöser Bursche – ließ auf Samuel anlegen. Die Jungs nahmen ihre Äste und Besenstiele von den Schultern und zielten. »Feuer!«, befahl er. »Krachpeng!«, machten sie. »Bumm! Tschack!«
    »Den haben wir«, sagte der Hauptmann. Er befahl das Weitermarschieren. Gehorsam hoben die Jungs ihre Gewehre auf die Schultern. Sie marschierten im Gleichschritt. »Eins, zwei, eins, zwei!« Sie trugen Helme aus Töpfen und Tüten, manche hatten sich den Adler an den Helm gemalt.
    Der Hauptmann ließ sie anhalten und kehrtmachen. Er befahl ihnen, wieder auf Samuel anzulegen, diesmal im Liegen. Die Jungs warfen sich zu Boden und luden ihre Gewehre.
    Wieso sollte es ein Vergnügen sein, mit dem Gewehr Menschen totzuschießen? Er stellte sich einen Toten vor, mit einem Loch in der Stirn, aus dem Blut sickerte.
    »Feuer!«, befahl der Hauptmann.
    Samuel hielt es nicht mehr aus und rannte in die Schillerstraße. Wenn sie ihn jetzt nur nicht verfolgten! Wie gern hätte er einen Freund gehabt, mit dem er sich gegen sie verbünden könnte.
    Auf dem Türabsatz der Schillerstraße 4 hatte ein Junge ein schwarz-weiß gestreiftes Wachhäuschen aufgebaut. Er verharrte darin, unbeweglich, mit ernster Miene, das Spielzeuggewehr auf der Schulter.
    Samuel blieb vor ihm stehen. Der Junge tat so, als hätte er ihn nicht gesehen, nichts konnte ihn von seinem Dienst ablenken. Er kam aus seinem Wachhäuschen, ging im Paradeschritt auf und ab und kehrte in das Häuschen zurück, den Blick starr geradeaus gerichtet.
    Einer, der allein spielte, wie er, Samuel. »Was bewachst du?«, fragte er ihn.
    Der Junge reagierte nicht.
    »Mein Vater ist gerade nach Hause gekommen«, sagte Samuel. »Weißt du was? Er hat eine Überfahrt für uns gebucht, auch für Mama und mich, mit der Titanic! Das ist ein riesiges Schiff. Damit fahren wir nach England und dann nach Amerika.«
    Der Junge blickte Samuel an und blaffte: »England ist der Feind! Wir Deutschen machen mit denen nicht gemeinsame Sache.«
    Von drinnen ertönte ein kurzer, energischer Befehl der Mutter. Der Junge trat ab und nahm seine Wachhütte wie ein Schneckenhaus auf den Rücken.
    Nele sah aus dem Fenster. Die Gegend war ihr fremd. Sie kannte nur Groß-Berlin, und ringsherum das Nirgendwoland, in dem niemand lebte: düstere Nadelwälder, öde Ebenen und Wasserlöcher. An Vohwinkel hatte sie keine Erinnerungen. Als die Eltern wegen der Arbeit dorthin zurückgekehrt waren, war Nele in Berlin geblieben, obwohl sie erst sechzehn gewesen

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