Tanz unter Sternen
können. Aber sie hatte sich für Matheus entschieden, den Langweiler, den Zahmen.
Ganz hinten kamen die Briefe von einem, der ihr erst seit einigen Wochen schrieb. Eigentlich schrieb er gar nicht. Er schickte gepresste Blumen. Schneeglöckchen, Narzissen, Schlüsselblumen. Bis auf die Blume waren die Umschläge leer. Die Briefe kamen auch nicht mit der Post, sie lagen plötzlich in ihrem Korb, wenn sie einkaufte, oder sie fand sie in ihrer Jackentasche. Jedes Mal, wenn es in der Tasche knisterte, machte ihr Herz einen Satz.
Gestern war ein Zettel dabei gewesen. Cäcilie nahm die Schlüsselblume aus dem Umschlag und den kleinen Zettel.
Morgen, Café Bauer, 10 Uhr?
Diese Schrift hatte sie zuvor noch nicht gesehen; da war keine Ähnlichkeit mit irgendeiner Handschrift der anderen Briefe, wie sie nach sorgsamen Vergleichen bereits festgestellt hatte. Wer mochte sich dahinter verbergen? Und wie hatte derjenige es immer wieder geschafft, ihr unbemerkt Umschläge zuzustecken? Cäcilie schob den Zettel zurück, versteckte die Briefe im Wäschefach und schloss den Kleiderschrank.
Tu es nicht, geh nicht hin, dachte sie.
Sie holte die Asche aus dem Küchenofen und brachte sie nach draußen zum Müllkübel. Es staubte fürchterlich, als Cäcilie den Aschekasten entleerte. Sie hustete und musste sich abwenden.
In die Wohnung zurückgekehrt, knüllte sie Zeitungspapier zusammen und legte es in den Ofen. Sie schichtete dünne Holzspäne aus dem Korb darauf und entzündete das Papier. Als auch die Späne brannten, legte sie Briketts darauf.
Café Bauer, 10 Uhr.
Die Asche kratzte immer noch. Cäcilie rieb sich mit dem Hand gelenk das Auge. Als das Feuer gleichmäßig brannte, erhitzte sie die eiserne Wellenschere und brannte sich links und rechts neben dem Mittelscheitel Wellen ins Haar.
Geh nicht hin, Cäcilie.
Sie parfümierte sich, zog die Lackschuhe an. Sie setzte den blauen Florentinerhut auf und zog das Gummiband unter das Kinn.
Für wen machst du dich hübsch?
An der Tür verharrte sie, den Knauf schon in der Hand. Sie war wütend auf sich selbst. Du weißt genau, wohin das führen wird, sagte sie sich. Du wirst deinen Mann betrügen.
Oh, die süßen Schritte die Treppe hinunter. Der süße Weg in die Stadt. Es war leicht, zu leicht.
»Goliat war ein Riese«, sagte Matheus. »Er war über drei Meter groß. Einen jungen Baum hat er sich zum Speer geschnitzt, die eiserne Spitze des Speers wog sieben Kilo. Er trug einen Brustpanzer aus Bronze, sechzig Kilo schwer, und vor ihm her ging ein Schildträger mit einem mannshohen Schild.«
Aus weiten Augen starrten ihn die Waisenjungen an. Sie saßen im Halbkreis um ihn herum, auf zerstoßenen, schäbigen Stühlen. »Hatte David keine Angst?«, fragte einer.
»David hatte keine Angst. Er wusste, dass Gott ihm hilft. David legte einen Kieselstein in seine Schleuder und drehte sie über dem Kopf, und –«
»Ein Zeppelin!«, rief ein Kind, das am Fenster saß. Es sprang auf und brüllte erneut: »Ein Zeppelin!«
Sofort stürzten alle Kinder zu den Fenstern. David und Goliat waren vergessen, das magische Wort »Zeppelin« hatte die Kinder verzaubert. Sie klebten mit ihren Nasen an den Scheiben und blickten zum Himmel.
»Welcher ist es, die ›Viktoria Luise‹?«
»Was macht der, wenn der Wind ihn wegbläst?«
»Die haben doch Motoren, du Schwachkopf, die kümmern sich nicht um den Wind!«
»Und wo sitzen die Passagiere?«
Ein älterer Junge, der bereits im Stimmbruch war, verschränkte lässig die Arme und sagte: »In der mittleren Gondel. In der vorderen sitzt der Führer am Steuerrad, da gibt es den ersten Motor. In der Mitte sitzen die Passagiere, und die hintere Gondel trägt die beiden anderen Motoren.«
»Und was ist, wenn der Ballon platzt?«, piepste aufgeregt ein kleiner Junge.
»Das ist nicht ein Ballon, du Schlaumeier, das sind achtzehn Ballons, schöne einzelne Gaszellen. Selbst wenn drei davon platzen, ist das Schiff noch fahrtüchtig.«
Ein Junge fragte: »Wie viele Leute fahren da mit?«
Wieder antwortete der Ältere. »Die Besatzung sind acht Leute, fünf davon fliegen vorne mit, der Luftschiffführer, der Ingenieur, zwei Steuerleute und zwei Monteure, die anderen sind in der hinteren Gondel.«
»Ich meinte, wie viele Passagiere.«
»Zwanzig. Die haben eine eigene Küche, und es gibt kalte Getränke und Speisen während der Fahrt, und innen ist alles mit Mahagoni und Perlmutt und Teppich.«
»Und wenn sie mal aufs Klo müssen?«, wollte ein
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