Tanz unter Sternen
sagen, wie spät es ist?«
Sie sah ihn verständnislos an.
»Tick tack tick tack«, machte er, und hob fragend die Augenbrauen.
Da lachte sie und zeigte ihre leeren Hände. Sie hatte wohl keine Uhr.
Er blickte sich um. Die Frauen trugen schlichte Röcke, die Män ner schäbige Hüte, das waren Leute, wie sie in Berlin bei ihnen im Hinterhof wohnten. Die besaßen keine Uhren. Es war zwecklos, weiterzufragen.
Die Titanic stieß einen tiefen Ton aus, er hallte von den irischen Hügeln wider. Kurz darauf fing das ganze Schiff an zu zittern. Die Motoren stampften los, schwarzer Rauch strömte aus den Schornsteinen.
Wo war Adam? Noch mal würden sie nicht anlegen. Entweder war er ohne die Beute von Bord gegangen, oder er musste bis New York mitfahren.
Einer der Männer kletterte auf eine Bank und spielte auf seinem Dudelsack ein trauriges Lied. Das Instrument quäkte und pfiff, es war, als wollte der Mann sich damit verabschieden von den Wiesen und der felsigen Küste. Irland musste ihm am Herzen liegen. Mehr und mehr Leute sangen mit, sie kannten das Lied. Beim Singen schauten sie wehmütig auf die Küste. Waren das Auswanderer? Sie rechneten wohl nicht damit, ihre Heimat bald wiederzusehen.
13
Behäbig dampfte die Titanic voran in Richtung Amerika. Cäcilie sah aus einem Fenster des Palm Court Cafés. Es war neun zehn Uhr, und sie war hier, um sich mit Lyman Tundale zu treffen, der nicht ihr Ehemann war, und den sie trotzdem begehrte. Das Treffen war so verführerisch leicht zu regeln gewesen: Matheus hatte über Bauchweh und Gliederschmerzen geklagt, und sie hatte Samuel zur Strafe für sein Ausbüxen dazu verdonnert, das Abendessen auszusetzen und in der Kabine zu bleiben.
Der Himmel färbte sich rot. Durch die geöffneten Schiebefenster im Heck wehte frische Seeluft herein, und man erblickte Irland hinter dem Schiff als hauchdünne Erhebung am Horizont, es verschwand allmählich aus der Sicht, das Letzte, was sie von Europa sehen würden.
Die Gäste im Café musterten sie. Merkte man ihr an, dass sie eine Ehebrecherin war? Ich mache den gleichen Mist wie Vater, dachte sie.
Als kleines Mädchen war Cäcilie einmal mitten in der Nacht aufgewacht. Aus dem Foyer unten im Haus waren laute Stimmen heraufgedrungen. Ängstlich stand sie auf, schlich in den Flur und sah von der großen Treppe hinunter. Sie beobachtete, frierend, an das Treppengeländer geklammert, wie Mutter und Vater sich stritten. Es endete damit, dass die Mutter ins Ankleidezimmer ging und mit gepackten Koffern wiederkam. Sie wollte weggehen, für immer, das begriff Cäcilie auch mit ihren fünf Jahren.
Sie hastete die Treppe hinunter, lief zu ihr, schrie, weinte, aber die Mutter stieß sie zurück und sah sie gar nicht an. Der Vater brachte sie ins Bett zurück. Am nächsten Morgen war alles wie im mer, es gab Frühstück, die Dienstmädchen kochten Milch auf. Cäcilie wollte fragen, was letzte Nacht los war, sie wollte von der Mutter hören, dass sie bleiben und Cäcilie nie verlassen würde.
Aber die Mutter war abweisend und verschlossen gewesen, und Cäcilie hatte gewusst, dass sie kein Wort verlieren durfte über letzte Nacht, nicht aussprechen durfte, wie groß ihre Angst war. Später, als sie älter geworden war, begriff sie, dass Vater die Schuld trug, weil er sich mit jungen Frauen traf, jahrelang ging das so, immer wieder hörte sie Gerüchte, dass er sich mit seinen Geliebten auf dem Gut Madlitz vergnügte, wo er mit dem Kaiser zu jagen pflegte.
Es war ihr eine Genugtuung gewesen, ihn mit dem treuen, besitzlosen Matheus zu schockieren. Vater hatte getobt. Hatte ihr vorgehalten, dass Cäcilies jüngerer Bruder sich weitaus vielversprechender entwickelte. Je mehr er tobte, desto glücklicher war sie mit Matheus gewesen. Sie hatte seine Aufrichtigkeit bewundert, alles an ihm hatte ihr Vertrauen eingeflößt. In seiner Baptistenkirche fand sie Familien, in denen man sich aufeinander verließ. Sie fand einen Gott, der von den Männern verlangte, bei ihren Frauen zu bleiben. Wer sich nicht daran hielt, wurde aus der Kirche ausgeschlossen.
Matheus würde sie nie hintergehen, das wusste sie. Hatte sie ihn deshalb geheiratet? Um sicherzugehen, dass ihr nicht zustieß, was ihre Mutter hatte erleiden müssen? Viele Freundinnen sagten ihr damals, dass er unter ihrem Niveau sei – vielleicht war auch das unbewusste Absicht gewesen, bei ihm konnte sie sicher sein, dass er niemals eine fand, die ihr überlegen war.
Nach Vaters Willen hätte
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