Tanz unter Sternen
Anker von den Ästen los.«
Matheus hob die Brauen. »Der muss aber mutig sein.«
»Wir sind alle mutig! Sonst würden wir nicht mit einem Luftschiff fahren. Guck mal, die Tauben! Sie haben sich ein Nest bei uns gebaut. Sie sind immer auf Reisen. Wenn sie Hunger haben, fliegen sie runter zur Erde und picken etwas auf, und dann kommen sie wieder.«
»Vielleicht sind es Brieftauben. Damit können wir Nachrichten an unsere Verwandten schicken.«
Samuel umarmte ihn. »Du bist toll, Papa. Mit dir kann man schön spielen.«
»Mit dir auch, Samuel.« Er streichelte ihm den Kopf.
»Das sind unsere Segel«, sagte Samuel und wies auf die Schornsteine. »Der Wind entscheidet, wo wir hinfahren.«
»Haben wir keine Propeller und keinen Motor?«
»Nein. Wir sind ein altmodisches Luftschiff. Ohne Motor ist es schöner, da ist es ganz still im Himmel.« Er beugte sich wieder über die Reling. »Guck, da unten, ein Vulkan! Wir müssen höher auf steigen, damit uns die Gluthitze nicht brät.«
»Wollen wir zur Arktis fahren, zu den Eisbergen, um uns abzukühlen?«
»Das entscheidet doch der Wind!«
»Und wo bekommen wir unser Essen her?«, fragte Matheus.
»Wir halten über einer Stadt und lassen einen von uns runter. Er nimmt seltene Dinge mit, die wir überall auf der Welt aufgesammelt haben, dann kann er sie gegen Essen tauschen.«
Zwei alte Damen neigten sich über die Reling und suchten mit den Augen das Meer ab. Sie verstanden sicher kein Deutsch. Bei der Aufregung, mit der Samuel über Bord zeigte, dachten sie offenbar, dass es etwas zu sehen gäbe.
Ein dürrer, hohlwangiger Kerl blieb neben ihnen stehen. »Samuel, ich muss mit dir reden.«
»Adam!« Samuel strahlte. »Papa, das ist mein Freund.«
Zögerlich gab er dem jungen Mann die Hand. Warum sollte einer wie der sich mit seinem Sohn anfreunden? »Sie sprechen Deutsch?«, fragte er.
»Ja. Und Sie sind Samuels Vater?«
»Aber Deutscher sind Sie nicht, das hört man heraus.«
»Ich hab ein paar Jahre in Deutschland gearbeitet.«
»Ach. Was haben Sie gemacht?«
»Ich habe viel Zeit in fremden Vorgärten verbracht. Gartenzwerge. Ich hab sie verkauft und aufgestellt.«
Matheus verzog den Mund. »Diese Plage! Vor jedem Busch und in jedem Beet muss einer stehen. Ich weiß nicht, was die Leute an denen finden.«
»Ich auch nicht.« Adam lächelte. »Die Engländer pflegen ihre Gärten. Die Deutschen lieben ihre Gärten. Sie stellen Spielzeug rein, wie soll man das sonst erklären?«
»Für mich ist das keine Liebe, einen Zwerg mit roter Zipfelmütze aufzustellen. Die meisten beschränken sich ja nicht mal auf einen. Da muss es ein Angler sein, ein Sämann, ein Musikant …«
»… ein Bergarbeiter mit Grubenlampe«, ergänzte Adam, »ein Jäger, ein Zwerg mit Spaten, einer, der faul im Gras liegt …«
»Wie eine Pest.« Matheus erschrak über sich selbst. Warum ereiferte er sich so sehr? Samuel hatte einen Freund gefunden, und er beleidigte ihn und seinen Beruf, nur weil ihm das Aussehen des Burschen nicht gefiel. Musste er jedes Mal so misstrauisch sein? Nele hatte er angezeigt, Cäcilie spionierte er nach, und Samuels Freund war ihm suspekt. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Ich wollte Ihren Beruf nicht schlechtmachen.«
»Ach, da gibt es nichts schlechtzumachen.«
»Ich lasse euch zwei mal allein«, sagte Matheus, »und sehe nach, wo meine Frau steckt. Und bitte, entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit, ich habe es nicht so gemeint.«
»Sie haben Gartenzwerge verkauft?«, fragte Samuel ungläubig.
»Irgendwas musste ich deinem Vater doch erzählen.«
»Hier.« Er reichte ihm die Brote und den Apfel. »Vom Frühstück.«
Adam nahm sie und biss ins erste Brot. »Hast du Lust, eine Gräfin zu besuchen? Kabine C37, sie hat bestimmt ein paar Klunker im grünen Beutel.«
»In welchem Beutel?«
»Neben jedem Bett in der ersten Klasse hängt ein grüner Netzbeutel an der Wand, da verstauen die Reichen abends vor dem Schlafengehen ihre Wertsachen, vielleicht weil sie Angst haben, dass sich in der Nacht jemand ins Zimmer schleicht. Nur vergessen die meisten, den Beutel am Morgen leerzuräumen. So macht man’s Dieben leicht.« Er kaute und sprach dabei. »Weißt du, wo die Gräfin von Rothes ihr Zuhause hat? Im Kensington Palace in England. Da warten noch genug Juwelen auf sie. Wenn sie hier ein paar mit uns teilt, wird ihr das nicht schaden.«
»Wo haben Sie eigentlich den Schlüssel her, den für die Verbindungstüren?«
»Von einem Kellner. Ein Neffe
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