Tanz unter Sternen
Familie willen.
»Schatz, wie spät ist es?«, rief sie nach draußen.
Matheus’ Uhrenkette klirrte leise. »Viertel nach zehn.«
Viertel nach zehn! Sie hatten spät gefrühstückt, wegen der auf reibenden Nacht länger geschlafen. Wenn sie Lyman noch an treffen wollte, musste sie sich beeilen. Vielleicht war er gar nicht mehr da.
Ich bringe es in Ordnung, Matheus, dachte sie. Sie zog den Mantel wieder aus und trat nach draußen. Leise sagte sie: »Ich weiß, es ist nicht leicht für uns, aber ich brauche noch mal eine Stunde.«
Es war still im Flur. Dann sagte Matheus: »In Ordnung.« In seinen Augen stand die Angst, sie zu verlieren.
»Mach dir keine Sorgen«, sagte sie, »hörst du?« Sie gab ihm einen Kuss.
Als sich die beiden entfernt hatten, erkundigte sie sich bei einem Steward, der jemandem warmes Wasser brachte. Den dampfenden Krug in den Händen, erklärte er ihr, das Mitteldeck liege zwei Etagen unter dem Salondeck. Während sie die Treppe hinunterstieg, wappnete sie sich innerlich. Sie würde Lymans schönem Gesicht nicht nachgeben, dem aufrechten, stolzen Körper und dem klugen Blick. Sie würde seinem Charme nicht erliegen.
Am Fuß der Treppe schaute sie sich um. Lyman Tundale war nicht zu sehen. Stattdessen trat eine junge Frau auf sie zu und fragte: »Are you Cecily Singvogel?«
Cäcilie bestätigte.
Die Frau lächelte sie an. »Please follow me.«
Sie betraten einen Raum wie aus Tausendundeiner Nacht: Bronzene Lampen hingen von der Decke und verbreiteten warmes Licht. Den Boden bedeckte ein blau-weißes Mosaik. Säulen aus Teakholz trugen Deckenbalken von purem Gold.
Ringsum an den Wänden standen Liegen, dazwischen niedrige Tische. Aus einem marmornen Brunnen sprudelte Wasser, Gläser standen griffbereit. »Was ist das?«, fragte Cäcilie.
»Der Raum zum Abkühlen«, sagte die Frau.
Cäcilie fragte, wovon man sich darin abkühle. Zur Antwort reichte ihr die Frau ein schwarzes Badekleid. »Er hat gesagt, Sie würden das nicht mitbringen.« Außerdem gab sie ihr ein kleines Stück Papier.
This ticket entitles bearer to use of Turkish or Electric bath on one occasion. Paid one Dollar.
Oben in die Ecke war die Nummer 186 gestempelt. Sicher hatte Lyman nicht nur den Dollar bezahlt. Er hatte mehr gegeben, damit sie so zuvorkommend behandelt wurde.
Sie überlegte, die Dinge zurückzugeben.
»Möchten Sie etwas trinken?«, fragte die Frau.
Bezahlt war es schon. Lyman war nicht hier. Er schenkte ihr dieses Erlebnis, vielleicht aus Dankbarkeit für das, was sie geteilt hatten. Sollte sie es nicht ein letztes Mal genießen, die Lady eines reichen Mannes zu sein, bevor sie zu Matheus zurückkehrte? Ein Türkisches Bad an Bord des modernsten Dampfschiffs der Welt! Sie würde weniger danach lechzen, wenn sie es einmal erlebt hatte. Ja, dachte sie, ich tue es, damit ich es in Zukunft lassen kann.
Bald darauf schwitzte Cäcilie im Dampfbad, dann im heißen und anschließend im warmen Raum. Sie erfrischte sich im Pool, der mit beheiztem Salzwasser gefüllt war, das, so sagte man ihr, weit vor der irischen Küste aus dem Meer an Bord gepumpt worden war.
Sie duschte sich, rieb sich mit einem hellen Handtuch trocken und dachte, jetzt hätte sie alle Stationen dieses Bades durchlaufen. Die zuvorkommende Bademeisterin lächelte nur und brachte Cäcilie zu einer Wanne, die in der Mitte durch eine senkrechte Wand geteilt wurde. In der Wand war ein ovaler Ausschnitt, auf den sich Cäcilie niederlegen musste, so als würde ihr Leib am Bauchnabel durchtrennt. Ein Gummieinsatz umschloss ihren Körper.
»Erschrecken Sie nicht«, sagte die Bademeisterin. »Sie werden merken, das elektrische Bad tut Ihnen gut.«
Cäcilie fuhr zusammen. Jede Woche hörte man von Menschen, die durch Stromschläge umkamen. Sie wollte sagen: Warten Sie! Da spürte sie schon ein seltsames Kribbeln auf der Haut. Muskeln im Rücken und in den Oberschenkeln zogen sich zusammen, die Glieder zuckten.
»Wie ist es?«, fragte die Bademeisterin.
Cäcilie brachte nichts heraus, sie versuchte, wieder Herrin ihres Körpers zu werden und das Zucken zu unterbinden. Es gelang ihr nicht. Auf furchterregende Weise wurde sie von einer unsichtbaren Kraft geschüttelt.
Es schien ihr eine Ewigkeit zu dauern, bis die Bademeisterin endlich den Strom abstellte. »Beim ersten Mal sollte man es nicht zu lange auskosten. Wünschen Sie jetzt eine Massage? Meine Kollegin ist eine wunderbare Masseurin. Oder möchten Sie lieber die Lichtbank
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