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Tanz unter Sternen

Tanz unter Sternen

Titel: Tanz unter Sternen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Titus Mueller
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Kabinen im Bug.«
    Matheus runzelte die Stirn.
    »Damit will ich nichts andeuten. Ich kümmere mich nicht um diese Fragen, dafür gibt es eine Anstandsdame. Sie ist speziell für die alleinstehenden Frauen zuständig.«
    »Ich bitte Sie!«, sagte er entrüstet. »Ich bin Pastor und möchte ein seelsorgerliches Gespräch führen!«
    »Da haben wir sie. Nele Stern. Sie reist dritter Klasse, Kabine F196.«
    »Wie komme ich am besten dorthin? Ich muss ein Deck hinab, nicht wahr, ins Mitteldeck?«
    Der Purser nahm einen Schlüsselbund aus einem kleinen Kasten und sagte der Familie, die hinter Matheus wartete: »Bitte haben Sie einen Moment Geduld.«
    Er kam hinter dem Tresen hervor und rief: »Mister Ashcroft, übernehmen Sie!« Matheus bat er, ihm zu folgen.
    Sie gingen den Flur hinunter. Es roch nach Kartoffeln, irgendwo musste hier der Raum sein, in dem sie die Kartoffeln wuschen, oder das Kartoffellager. Für Hunderte von Passagieren wurden sicher Berge von Kartoffeln mitgeführt. Irgendein armer Schlucker fuhr nur mit, um sie zu schälen.
    Der Zahlmeister schloss ihm eine Tür auf. »Dort entlang geht’s zur dritten Klasse«, sagte er.
    »Und die Tür ist immer abgeschlossen?«
    »Gesundheitsbestimmungen der Einwanderungsbehörde in den Vereinigten Staaten. Die Passagiere dritter Klasse werden streng untersucht, sie könnten Krankheiten einschleppen. Wenn sie sich an Bord frei bewegen würden, müssten Sie, mein Herr, und auch die Fahrgäste erster Klasse sich bei der Ankunft in New York denselben Untersuchungen unterziehen, das muss nicht sein, nicht wahr?« Er nickte ihm zu und schloss hinter ihm die Tür ab.
    Da bin ich also, dachte er, inmitten gefährlicher Bakterien, Larven und Schimmelpilze. Er spürte ein Jucken zwischen seinen Zehen. Auch die Hände kribbelten. Am besten, er fasste hier nichts an, vor allem nicht die Toilettentüren. Wie war es Nele gelungen, diesen geschlossenen Bereich zu verlassen? Es musste Schleichwege geben, vermutlich tauschten die Eingesperrten sich darüber aus.
    Die Treppe, die er hinabstieg, war schlicht, sie hätte genauso gut zu einem gewöhnlichen Haus gehören können. Kinder tobten an ihm vorüber, sie jagten sich und juchzten, das Schiff war für sie ein abenteuerlicher Spielplatz. Matheus hörte die Dampfkolben stampfen, es klang, als würde das Schiff schwer atmen auf seinem Weg nach Amerika.
    Der untere Treppenabsatz wurde von zwei Menschenschlangen eingerahmt. »Was ist passiert?«, fragte er einen der wartenden Männer, aber der zuckte nur die Achseln, er verstand kein Englisch.
    Ein anderer drehte sich um, ein stämmiger Mann, der aussah wie ein Boxer. »Zwei Badewannen für siebenhundert Leute, das ist passiert.«
    Jetzt fiel Matheus auf, dass die eine Schlange ausschließlich aus Männern und Jungen bestand, die andere ausschließlich aus Frauen. Viele hatten ein Tuch bei sich. Ein kleiner Junge kniete auf dem Boden und schob ein Stück Seife wie ein Spielzeugauto vor sich her, dazu machte er brummende Geräusche. Während sie in der zweiten Klasse etliche Bäder hatten, fertigte man diese Menschen mit läppischen zwei Badewannen ab.
    Matheus zwängte sich an der Schlange vorbei. Weiter hinten im Flur fand er die Kabine F196. Er klopfte. Nele Stern, dachte er, ein schöner Name.
    Eine Frau öffnete, aber es war nicht Nele. Sie trug schwarze Locken. Aus südländischen Augen sah sie ihn fragend an.
    »Ich suche Nele Stern.«
    Die Frau sagte etwas in einer fremden Sprache.
    »Nele?«, fragte er noch einmal.
    Da hellte ihr Gesicht sich auf. »Nele.« Sie öffnete die Tür und bat ihn mit einer Geste, einzutreten. Hatte sie ihn wirklich verstanden? Nele war nicht im Zimmer, das sah er sofort. Die Kabine war schmal, der Platz reichte gerade für ein Doppelstockbett.
    Die Frau bedeutete ihm, sich aufs Bett zu setzen, und verließ die Kabine. Er dachte: Hoffentlich holt sie nicht die Anstandsdame. Es würde keinen guten Eindruck machen, dass er im Zimmer zweier alleinstehender Frauen auf dem Bett saß.
    Der Raum war beheizt, aber er verfügte über kein Fenster nach draußen. Wie lüfteten sie hier? Wenigstens gab es eine elektrische Lampe. Für viele der Auswanderer sicher etwas Neues. In Berlin hatten die meisten Armen bloß Gaslicht mit Zählern, in die sie Groschen einwerfen mussten – war das Geld abgelaufen, versiegte die Gasleitung. Eine gefährliche Angelegenheit, er war froh, sie los zu sein. Einmal hatte er sich abends schon früh schlafen gelegt. Als das Geld

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