Tanz unter Sternen
Tod holst.«
Stumm stieg er aus dem Boot und ließ sich am Hebekran herunter.
Sie nahm seine Hand. Die Finger waren eiskalt. »Du hast ganz kalte Hände, siehst du!« Hastig zog sie ihn mit sich zum Treppenhaus hin.
Ihr Vater hatte sie geschlagen. Die Mutter hatte an ihr herumgenörgelt wegen des Tanzens. Aber war es nicht viel schlimmer, fortgeschickt zu werden, gerade dann, wenn man sich fürchtete? War es nicht schlimmer, von den Eltern übersehen zu werden?
»Das kann nicht dein Ernst sein«, sagte Matheus. »Nach allem, was passiert ist!«
Cäcilie sah ihn eindringlich an. »Er ist auch ein Mensch. Hast du schon mal daran gedacht? Er ist ein Mann, der sich verliebt hat. Ich muss mich wenigstens von ihm verabschieden und ihm erklären –«
» Was erklären? Dass du verheiratet bist und eine Familie hast? Das weiß er, das wusste er von Anfang an. Er schert sich einen Teufel um unsere Ehe! Ich fasse es nicht, dass du diesen Casanova in Schutz nimmst!«
»Lyman ist kein Casanova. Du kennst ihn nicht.«
»Ach, nennt ihr euch schon beim Vornamen?« Zu hören, wie Cäcilie den fremden Namen aussprach, tat ihm weh. »Blitz und Donner, Cäcilie, wach auf! Merkst du nicht, dass du unser Leben wegwirfst? Ich habe gesehen, wie ihr euch geküsst habt!«
»Du machst dich zum Narren, Matheus. Dein Auftritt gestern im Restaurant … Ich habe mich so geschämt!«
»Du solltest dich auch schämen, mit einem Ehebrecher im Restaurant zu sitzen. Was habt ihr noch alles geteilt? Lässt du dich von ihm befummeln?«
»Hör auf, so von mir zu reden.«
»Es ist Sonntagmorgen«, sagte er. »Wir sollten im Speisesaal im Gottesdienst sitzen und der Predigt lauschen, als Familie. Schau doch, was du angerichtet hast! Was ist nur aus uns geworden!«
»Ich werde jetzt zu Lyman gehen und mit ihm reden. Wenigstens das hat er verdient.«
Matheus stellte sich ihr in den Weg. »Du bleibst hier.«
»Du verdammter Tyrann! Ich gehe. Du wirst mich nicht daran hindern.«
Wenig fehlte, und er würde sie schlagen. Vor lauter Zorn war er kaum noch in der Lage, klar zu denken.
»Was ist?« Sie hob amüsiert die Brauen. »Willst du den ganzen Tag die Tür bewachen?«
Dass sie auch noch über ihn lachte …! Er holte aus und versetzte ihr eine Backpfeife. In ihrem Blick sah er Entsetzen aufkeimen, sie schaute ihn an und hatte Angst vor ihm. Ein roter Handabdruck erschien auf ihrer Wange. »Das wollte ich nicht«, sagte er. Er griff nach ihrer Hand. »Cäcilie …«
»Fass mich nicht an!«, fauchte sie.
»Ich hab in der Nacht an deinem Bett gestanden und dachte, dass ich dir keine Szene machen will und dass alles wieder gut werden soll. Ich will dir die Affäre nicht nachtragen, ich will nur, dass wir zusammenbleiben. Cäcilie, es tut mir leid, ich …«
Sie schob sich an ihm vorbei und verließ die Kabine.
Er stand da, unfähig, sich zu rühren. Ein Grausen erfasste ihn. Ich habe Cäcilie geschlagen. Er sah seine Hand an, die gerötete Innenfläche. Er hatte sich für einen guten Menschen gehalten. Dabei war er genauso schlecht wie all die Verbrecher, die Mörder, die Räuber, die Opiumhändler.
»Ich wollte dich nicht schlagen«, sagte er. Er sank aufs Bett nieder. Jetzt geht sie zu ihm, dachte er, und er wird ihr erzählen, wie ich die Tischdecke heruntergerissen und den Tisch umgestoßen habe. Sie wird sich noch mehr schämen. Sie wird ihm sagen, dass ich sie schlage. Ich habe ihren Respekt verloren, endgültig und zu Recht.
Vielleicht war es besser, wenn es ihn nicht mehr gab, wenn er weg war. Er stand auf und trat vor den Waschschrank. Im Spiegel sah er sein Gesicht, die blutunterlaufenen Augen, die schlaffen Lider, den bösen Mund. Er verdiente es nicht, weiterzuleben.
»Wo gehen wir hin?«, fragte Samuel.
»Zu deinen Eltern.«
Er blieb stehen. »Das geht nicht. Ich darf sie nicht stören.«
Nele hockte sich vor ihn hin, um auf Augenhöhe zu sein. »Jetzt hör mir mal gut zu. Dein Papa und deine Mama haben sich entschieden, dass sie ein Kind haben wollen. Sein Kind schickt man nicht einfach weg. Du störst sie niemals, weil du ihr Sohn bist und sie dich liebhaben. Sie sind vielleicht ein bisschen durcheinander und haben deshalb vergessen, wie wichtig du ihnen eigentlich bist. Aber daran werden wir sie erinnern. Jetzt komm.« Sie nahm seine Hand und zog ihn mit.
Als sie sich der Kabine näherten, wurde sie auch unsicher. Was sollte sie sagen? Reißen Sie sich zusammen, Sie haben ein Kind! Oder zögerlicher: Bitte verzeihen
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