Tanz unter Sternen
Ihnen nicht helfen.« Er ging weiter.
Der Mann rief ihm hinterher: »Aber Sie sind sein Freund! Wo waren Sie überall, welche Orte kennt er an Bord? Wir haben uns gestritten, er hat sich irgendwo verkrochen. Helfen Sie mir, ihn zu finden!«
Adam tat, als hörte er es nicht. Ich habe ihn gewarnt, dachte er, ich bin kein guter Freund, für niemanden. Der Junge ging ihn nichts an.
Die Beute in seinen Taschen wog schwer, sie klagte ihn an. Was war bloß aus ihm geworden? Er war auch einmal ein feinfühliger Junge gewesen wie dieser Samuel. Er hatte am Flussufer aus Gras kleine Flöße gebunden und sie in die Wellen gesetzt, er war nebenher gelaufen, um ihnen beim Fahren zuzusehen. Er hatte seinen kranken Vater gepflegt, während die Mutter arbeiten gewesen war. Damals war er noch ein guter Junge gewesen, der staunen und lieben konnte.
Adam blieb stehen.
Der Ofen im Kesselraum. Wenn Samuel sich dort unten versteckt hatte, wie hätte er dem Wasser entkommen können? Er, Adam, dachte nur an die verlorene Beute, nicht an den Jungen.
Gab es nicht Notleitern, die bis zur Scotland Road hinaufreichten? Er machte kehrt und lief zurück. »Warten Sie hier«, sagte er zu Samuels Vater, »ich hole ihn.« Er stieg die Treppe ins Deck E hinab. In der Scotland Road standen immer noch die Familien und hofften auf einen Steward. Adam drängelte sich an ihnen vorbei, er rannte die Scotland Road hinunter.
Hier musste es gewesen sein. Er hatte die schmale Tür auf einer seiner Erkundungsrunden entdeckt und sie sich als Fluchtweg für einen missglückten Diebstahlsversuch eingeprägt. Er öffnete sie. Dahinter führte eine eiserne Leiter abwärts. Von unten hörte er Wasser rauschen. »Samuel?«, rief er.
Keine Antwort. Dieses Schiff geht unter, sagte er sich, also raus hier! Du riskierst dein Leben für ein Kind, mit dem du nicht mal verwandt bist? Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, um sentimental zu werden. Rette deine Haut!
»Samuel?«, rief er noch einmal.
Er meinte, eine Stimme zu hören, ein müdes Krächzen. Das konnte Samuel sein! Adam fühlte ungekannte Kraft durch seine Glieder fahren. Ich tue das nicht für mich, dachte er, ich tu’s für den Jungen. Seit Jahren hatte er nicht mehr uneigennützig gehandelt. Diese Leiter hinunterzusteigen, obwohl es ihn das Leben kosten konnte, machte ihn glücklich. Er fühlte sich gebraucht, er konnte sich selbst wieder achten – eine Empfindung, von der er nicht einmal gewusst hatte, wie sehr er sie vermisste. Aus irgendeinem Grund war er sicher, dass es die Stimme Samuels war, die gekrächzt hatte. »Ich bin es. Adam. Halte durch!«
Die Leiter endete an einem Laufsteg. Eine zweite Leiter führte weiter abwärts. Adam folgte ihr. Schwaches Licht brannte im Schacht. Unten sah er Wasser, die Leiter verschwand darin. Der Kesselraum war offensichtlich vollständig geflutet. Das Wasser klomm die Leitersprossen hinauf, es ersäufte das Schiff. War da nicht Samuels blonder Schopf?
Adam reichte die Hand abwärts, aber Samuel konnte nicht mehr zufassen, seine Finger waren steif vor Kälte. »Komm«, sagte Adam. Er hielt sich mit der Rechten an der Leiter fest, streckte die Linke immer mehr aus, bis er Samuels Hand spürte. Langsam zog er den Jungen aus dem Wasser. Sein Körper war eiskalt. Adam legte ihn auf seine Schulter. »Versuch, dich mit den Armen an mir festzuhalten.«
Er kletterte hinauf. Samuel war schwer, es kostete Anstrengung, ihn die lange Leiter hochzuschleppen. Nachdem sie den Laufsteg passiert hatten und auf die zweite Leiter gewechselt waren, hielt sich der Junge schon besser fest. Vielleicht half ihm Adams Körperwärme. Samuel klammerte sich regelrecht an ihn.
Er hörte ihn etwas flüstern, zu undeutlich, um es zu verstehen. »Was sagst du?«, fragte er.
»Mein Freund«, wisperte der Junge.
An der Tür zur Scotland Road wartete Samuels Vater mit verzweifeltem Blick. Als er seinen Sohn sah, riss er die Augen auf und faltete für einen Augenblick die Hände wie zu einem Dankgebet. Adam übergab ihm den Jungen. Matheus nahm den Sohn in die Arme und drückte ihn an sich. Dann blickte er Adam in die Augen und sagte: »Danke.«
Männer drängten zum Boot hin. Ein Offizier zog seinen Revolver und schoss in die Luft. »Zurück!«, befahl er. Die Männer wichen zur Seite. Weitere Frauen stiegen ins Boot, Kinder wurden an Bord gereicht.
Cäcilie zuckte zusammen: Eine der Gestalten trug ihren Shawl. Sie hielt den Kopf gesenkt und bewegte sich, als würde ihr das Gehen
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