Tanz unter Sternen
das?«
»Das Pumpenwasser«, sagte er. Er rief noch einmal: »Halt!« Aber das Rauschen war zu laut, offenbar hörten sie ihn oben nicht. Das Boot wurde weiter auf den mächtigen Wasserstrahl hinabgelassen.
Die Crewmitglieder, die zum Steuern mit an Bord waren, zerrten hektisch an den Rudern. Sie lösten sie und nutzten sie wie Stäbe, um das Boot vom Schiffsrumpf wegzudrücken. Der Wasserstrahl erschütterte das Boot, er donnerte gegen seine Seite.
»Wir werden volllaufen«, brüllte einer der Seeleute.
»Nach achtern«, antwortete ein anderer, und sie begannen, das Boot seitlich zu schieben. Bald prasselte das Wasser nur noch gegen den Bug. Die Insassen drängten fort von dort, weg von der Gischt, die alle nass machte.
Sobald sie den Strahl passiert hatten, ließen die Seeleute das Boot zurück gegen den Rumpf der Titanic plumpsen. Jetzt ging der Wasserfall über ihren Bug hinweg, es geriet nur wenig Wasser ins Boot.
Sie landeten im Meer.
Die Strömung des Wasserfalls trieb sie beiseite, es war eine unsichtbare Kraft, die sie an der Titanic entlangdrückte. Cäcilie sah hoch. Über ihnen kam das benachbarte Rettungsboot herunter. »Achtung!«, sagte sie.
Jetzt sahen es auch die anderen. Das Boot kam rasch herab. Die Männer fassten an den Rumpf des Bootes über ihnen und versuchten, ihr eigenes darunter wegzudrücken. Frauen halfen mit, als sie sahen, was die Männer erreichen wollten. Die Seile, die sie oben mit dem Kran verbanden, spannten sich. Einer der Seeleute, ein Heizer mit rußigem Gesicht, schnitt sie mit dem Messer durch.
Sie stießen sich in letzter Sekunde weg. Neben ihnen klatschte das andere Rettungsboot auf die Wasseroberfläche.
Die Strömung trieb sie weiter fort. Der Heizer setzte sich ans Steuer, die anderen drei tauchten die Ruder ins Wasser, Lyman wurde gebeten, ihnen zu helfen, und übernahm das vierte Ruder.
Der Heizer an der Ruderpinne schlotterte vor Kälte. Seine Hosenbeine reichten nur bis zu den Knien, und unter der Schwimmweste trug er nichts als ein Unterhemd. Eine reiche Frau zog einen ihrer Pelzmäntel aus – sie trug mehrere übereinander – und reichte ihn dem Heizer. »Nicht solange Frauen frieren«, sagte er und gab den Mantel an ein junges Mädchen weiter, das sich im Nachthemd die Oberarme rieb. Es nickte zum Dank, offenbar sprach es kein Englisch. Hastig schlüpfte es in den wärmenden Mantel.
Die Titanic ragte hoch auf über ihrem kleinen Boot. Reihen von Fenstern leuchteten, am Bug tauchten sie bereits ins Wasser. Wenn die Titanic doch einen oder zwei Tage so verharren könnte! Das würde genügen, dann wäre sicher Hilfe da.
Vom Bug startete eine weitere Rakete. Sie zerplatzte am Himmel, weiße Lichter sanken nieder. Cäcilie streichelte Samuels Gesicht. Er zitterte nicht mehr so sehr. Seine Haut aber war kalt.
26
Matheus blickte aufs Meer hinaus. Die kleinen Boote stahlen sich fort in die Dunkelheit, die Geretteten ruderten weg. Bei Cäcilie saß der Engländer mit im Boot. Sie hatte sich offensichtlich für ihn entschieden, hatte ihm ihren langen blassroten Shawl gegeben, damit er sich als Frau verkleiden und in ihr Boot steigen konnte.
Aber Samuel war gerettet. Um seinetwillen musste auch er am Leben bleiben. Matheus wandte sich ab und überquerte das Schiff, hin zur Backbordseite. Dort fand er Hunderte von Frauen, die sich um zwei Boote drängten.
Ein breitschultriger Offizier richtete seinen Revolver auf einen jungen Mann, der sich ins rechte der beiden Boot geschmuggelt hatte. »Zwingen Sie mich nicht, Sie zu erschießen.«
»Bitte«, wimmerte der Jugendliche, »ich krieche unter die Bank und nehme niemandem den Platz weg.«
»Seien Sie ein Mann und steigen Sie aus!«, brüllte der Offizier. Er entsicherte die Waffe.
»Nein«, flehte ein Mädchen. »Schießen Sie ihn nicht tot.«
Schluchzend kletterte der Jugendliche aus dem Boot. Der Offizier half, die Waffe immer noch in der Hand, einer alten Dame hinein. Weitere Frauen folgten. Ein Mann riss ein Blatt aus einem kleinen Buch, kritzelte mit dem Bleistiftstummel etwas darauf und reichte es einer Wildfremden: »Finden Sie meine Tochter, geben Sie Ihr das.« Die Frau ließ sich seinen Namen sagen, nickte und nahm den Zettel. Sie stieg als Nächste ein.
Vollbeladen wurde das rechte Boot abgefiert, kurz darauf das linke. Der Offizier und seine Seeleute blieben an Deck zurück. Misstrauisch fassten sie einige Männer ins Auge, die sich näherten. Die Männer verständigten sich leise. Es sah aus,
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