Tapas zum Abendbrot
Was für eine Erleichterung! Marianas Schwester ruft sofort zu Hause bei den Eltern an und berichtet von den Worten des Padre. Das angedrohte Familiengespräch findet somit auch für Mariana niemals statt. »Ich bin mir aber sicher«, sagt sie, »dass meine Schwester sich getrennt hätte, wenn der Priester ihren Verdacht bestätigt hätte. Sie hätte es nicht ausgehalten, für das Unglück meiner Eltern verantwortlich zu sein.«
Ich glaube was, was du nicht glaubst â für viele internationale Paare ist das weniger ein Problem als für ihre Umgebung. Plötzlich werden Selbstverständlichkeiten über den Haufen geworden. Es wird mit Traditionen gebrochen. Und die Eltern beginnen sich zu fragen: Wenn dieser junge Mann noch nicht einmal ein guter Gläubiger ist â woher sollen wir dann wissen, ob er ein guter Mensch ist?
»Gerade das habe ich meiner Mutter immer wieder gesagt«, erzählt Anjali. »Was für ein toller Mensch Max ist. Und ich habe immer gehofft, dass meine Mutter das irgendwann wichtiger finden würde als Herkunft oder Religion.« Anjalis Familie stammt aus Indien, oder nun gut, wohl eher aus Australien. Genau genommen sind nur ihre GroÃeltern in Indien selbst geboren. Doch obwohl Anjalis Eltern ihre sechs Kinder in Melbourne groÃgezogen haben, haben sie immer indisch gelebt. Sie glaubten an die Hindu-Götter, feierten indische Feiertage, sprachen einen Hindi-Dialekt â und für sie kamen immer nur Inder als Heiratskandidaten in Betracht.
Der Himmel über Melbourne ist wieder einmal blau, als Anjali vor fünf Jahren in ihr Elternhaus spaziert und all das infrage stellt.
Sie ist aufgeregt. SchlieÃlich steht da ein Mann an ihrer Seite, den sie bisher nur als »einen Freund« vorgestellt hat. Der aber in Wirklichkeit ihre groÃe Liebe ist. Es ist Max aus Deutschland: groÃ, schlank, blonde Haare, sympathisches Lächeln, gutaussehend. Anjali und er möchten heiraten â und heute ist der Tag, an dem sie das der Familie beichten wollen. Anjali weiÃ: Aus Sicht ihrer Mutter ist Max der Falsche. Obwohl er höflich und weltoffen ist, studiert hat, sich zu benehmen weiÃ, aus gutem Hause kommt. Für eine deutsche Mutter der Traumschwiegersohn. Doch hier ist Max vor allem eins: kein Inder.
Als Anjali ihrer Mutter endlich die Wahrheit sagt, klopft ihr Herz schnell und hart. Sie ahnt, dass jetzt nichts Gutes kommen kann. Und trotzdem hofft sie auf ein Wunder. Sieht die Mutter denn nicht, dass Max ihr guttut? Was für ein groÃartiger Mensch er ist? Gleichzeitig weià sie: Ihre Mutter ist gerade Witwe geworden â und will nun mehr denn je die Tradition in Ehren halten, den Willen des Vaters fortführen. Eine ganze Weile schweigt Anjalis Mutter. Dann sagt sie leise: »Du weiÃt, was ich darüber denke. Wenn du jemanden auÃerhalb der indischen Gesellschaft heiratest, bist du nicht länger Teil dieser Familie.« Max lässt sie wissen: »Du bist hier nicht willkommen.« Und damit ist aus ihrer Sicht alles gesagt.
Alles, was Anjali in diesem Moment fühlen kann, ist Schuld. Sie kann ihre Mutter nicht stolz machen. Sie ist keine gute Tochter. Sie verhält sich egoistisch. Doch dass Max neben ihr steht, gibt ihr Kraft. Sie weiÃ, dass sie jetzt kämpfen muss â und für diesen Mann ist es das wert. Sie wird in den folgenden Wochen und Monaten häufig mit ihrer Mutter streiten, meistens per Brief, sie wird oft traurig sein und manchmal weinen. Aber sie wird sich durchsetzen und Max heiraten. In Deutschland. Ohne die eigene Familie.
Es ist eine Gemengelage aus Tradition und Religion, mit der Anjali und Max seither zu kämpfen haben. Denn hat es nun religiöse Gründe, dass Anjalis Mutter den deutschen Schwiegersohn ablehnt? Liegt es daran, dass er nicht an die gleichen Götter glaubt? Oder findet sie es vor allem wichtig, dass die Tochter der Tradition folgt? Wahrscheinlich ist es beides. Denn natürlich lässt sich der Hinduismus nicht von Indien trennen, und Indien nicht vom Hinduismus. Anjali sagt: »You can take an Indian out of India, but not India out of an Indian.« Selbst wenn ein Inder also sein Land verlässt, wird er seine Heimat immer mit sich herumtragen.
Anjalis Eltern wuchsen in Afrika auf. Dort lebten sie in einer indischen Gemeinschaft, als wären sie nicht in Kenia, sondern in Kerala. Nach ihrer Hochzeit zogen sie erst nach England
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