Tapas zum Abendbrot
Standesbeamten, sondern in Darjeeling â und hat keine Ahnung, was eigentlich vor sich geht. Sie weià nicht, was der Standesbeamte sagt, und vor allem weià sie nicht, warum sie einen deutschen Mann neben sich hat. »Wer ist das?«, fragt der Standesbeamte in ihre Richtung. Hilflos sieht sie sich um, hält aber den Mund. »Cousin«, sagt der Anwalt von Amits Vater schnell, Ȋh, Bruder.« Er hatte die Hochzeit mit einer kleinen Unterschriftenfälschung und den richtigen Kontakten kurzfristig möglich gemacht, ohne groÃen Papierkram. Später erfährt Susanne: In Indien müssen Braut und Bräutigam je einen Trauzeugen aus ihrer Familie mitbringen. Sie hat dort aber keine Familie. Also hat Amits Vater kurzerhand einen deutschen Bekannten organisiert. Ein paar Minuten später sind Amit und Susanne verheiratet.
»Wir haben dann eine ganz kleine Feier gemacht«, erzählt Susanne, »mit gerade mal hundert Gästen.« Hätten sie dagegen groà gefeiert wie Amits Bruder, hätten sie mit eintausend Menschen rechnen müssen. Denn wenn man in Indien Herrn und Frau Singh einlädt, dann heiÃt das, dass auch die Kinder, die Cousins und eventuell der Schwippschwager mitkommen. Und es gilt als völlig normal, wenn der Nachbar fragt: »Ist noch etwas Platz im Auto?«
Für Amit ist es daher eine groÃe Umstellung, als er nach der Hochzeit endgültig ins Einzelkämpferdeutschland zieht. Er muss nun damit zurechtkommen, dass man hier nicht so einfach miteinander ins Gespräch kommt, dass man im Zug ruhig zu sein hat, die Deutschen ihre Privatsphäre brauchen und ihn in Dettenhausen auf dem Lande offen und ungeniert angaffen, oft so lange, bis er grüÃt. Einmal sitzt er an einem Bahnhof auf einem Betonblock und hat das Knie an die Brust gezogen, sodass sein Fuà auf der Sitzfläche steht. Da sticht ihn plötzlich etwas Spitzes von hinten in die Wade. Amit dreht sich um und sieht â eine alte Frau. Mit ihrem Regenschirm hat sie seinen Fuà ohne Vorwarnung von der Sitzfläche gestoÃen, begleitet von einem tadelnden Blick. Ob sie das bei einem deutschen erwachsenen Mann auch getan hätte?
Selbst Menschen, die gar nichts gegen einen Ausländer haben, können manchmal aus einem stolzen, selbstbewussten Menschen einen gebrochenen machen. Diskriminierung kommt schlieÃlich oft sehr subtil daher: Etwa wenn die Frau an der Bushaltestelle plötzlich doppelt so laut spricht, als sie merkt, dass der Fremde ihr gegenüber nur gebrochen Deutsch spricht. Wenn der Schornsteinfeger bei seiner Routinekontrolle auf einmal in Babysprache redet, weil er denkt, das würde die Verständigung erleichtern. Oder wenn man als Ausländer im Geschäft etwas fragt und die Verkäuferin einem nicht direkt antwortet, sondern sich an den deutschen Partner wendet, der danebensteht.
Wenn so etwas passiert, oder wenn er von Fremden einfach geduzt wird, dann trifft das aber nicht nur Amit. Es trifft auch Susanne. »Es ist schon komisch, wie die Leute unsere Welt einteilen«, sagt sie. »Hier in Süddeutschland ist ein Afrikaner nach meiner Erfahrung ganz unten. Dann kommen die Asiaten, dann die Südeuropäer.« Dass sie, die liebe Susanne, so einen »Neigâschmeckten« heiratet, das finden viele komisch. »Wenn du einen Ami oder einen Skandinavier heiratest«, sagt sie, »oder vielleicht auch noch einen anderen Europäer, dann ist das okay. Aber bei allen anderen, da wirdâs schon kritisch.«
Am Anfang, als Amit nach Deutschland kommt, kümmert ihn das alles wenig. Er ist damals 25 Jahre alt, alles erscheint ihm spannend, alles ist anders. Die Häuser, die Sauberkeit, die Ordnung, die Jahreszeiten, das ganze Grün, der erste Schnee. Amit macht einen Sprachkurs, zieht durch die StraÃen, jobbt hier und da und staunt über die Deutschen. In einer Zimmerei etwa, wo er arbeitet, da steht in der Teeküche eine Box mit Getränken und Schokolade. Wer sich etwas herausnimmt, der legt einfach Geld in die Dose. Dass das funktioniert, dass das Geld da so unbeaufsichtigt herumliegt und es keiner einsteckt, darüber kommt er gar nicht hinweg. »Ich war komplett schockiert«, sagt er.
Doch irgendwann wird alles Neue alt, irgendwann ist das Leben in Deutschland nicht mehr aufregend, sondern frustrierend. Ständig ist das Geld knapp, denn Susanne studiert noch, und Amit hat nur Gelegenheitsjobs. Wenn
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