Tapas zum Abendbrot
Zahlen nicht wären: 15272, 42, 0.
Zugegeben: Ich muss in Kopenhagen weder Angst vor der Drogenmafia haben, noch mit einem Freund klarkommen, der keine Termine einhalten kann. Und dennoch habe ich schon einmal daran gedacht, wie einfach alles wäre, wenn ich mir jemanden ausgesucht hätte, der aus meiner Stadt oder zumindest aus meinem Land kommt. Aber zum einen, so denke ich mir, haben solche Paare dann eben andere Probleme. Und zum anderen: Man sucht sich den Partner fürs Leben ja nicht nach dem Reisepass aus.
Einmal schwäbische Provinz, bitte
Dettenhausen: 5446 Einwohner. Grüne Wiesen, Fachwerkhäuser, Bausparen. Kutteln, Kittelschürz, Kehrwoche. Maultaschen, Maulfaulheit.
Als Amit Bhandari hier ankommt, jung, gut aussehend, indisch, da ist die Lage überschaubar: drei Kirchen, zwei Faschingsvereine, ein Harmonikaclub. Kein Kino, kein Gymnasium, kein Supermarkt. Was hat ihn nur hierher verschlagen?
Die Antwort findet sich in Darjeeling, Nordindien, 6500 Kilometer von Dettenhausen entfernt und hat einen Namen: Susanne. Zwei Jahre zuvor lernen sich die beiden im Haus von Amits Eltern kennen. Er studiert im Süden des Landes, ist für eine Woche heimgekommen und steht plötzlich vor diesem Mädchen mit der weiÃen, zarten Haut und den langen schwarzen Haaren â ein bisschen wie Schneewittchen. Susanne lebt für ein paar Monate in seinem Elternhaus, weil die Väter der Familien sich kennen; Amits Vater ist Pastor und leitet eine Mission in Indien, Susannes Vater ist in der katholischen Kirche sehr aktiv. Susanne ist 20 Jahre alt und arbeitet hier in Indien als Assistenzlehrerin. Nach dem Abi wollte sie raus, etwas erleben. Sie hat ein offenes, herzliches Lachen, sie liebt das Abenteuer, das Leben und ihre Gitarre, die sie extra mit nach Indien genommen hat. Endlich mal eine, mit der man über Musik reden kann, denkt Amit, eine, die die ganzen Songs aus dem Westen kennt!
Amit ist erst zweimal im Westen gewesen, in London. Dort fand er alles sehr merkwürdig und fremd. Susanne denkt genau das Gleiche über Indien, aber gleichzeitig liebt sie ihr kleines Abenteuer. Dummerweise liebt ihr Magen es nicht.
Kurz nach ihrer ersten Begegnung mit Amit wird Susanne hundeelend. Europäische Verdauungsorgane und indisches Essen â das passt nun mal nicht gut zueinander. An Arbeiten ist nicht zu denken. Aber wenigstens hat sie Unterhaltung, Amit ist ja da. Den ganzen Tag über quatschen sie, spielen Gitarre, erzählen. Susanne mag seine angenehme, ruhige Art, mag, wie er redet, wie er aussieht, wie er denkt. Nur ihr Verstand brüllt die ganze Zeit: »Nicht verlieben! Nicht verlieben!« Als klar ist, dass sie eigentlich gar nicht mehr reden, sondern viel lieber küssen wollen, setzen sich Amit und Susanne zusammen und zählen auf, warum das mit ihnen nicht klappen kann.
Erstens: Sie sprechen verschiedene Muttersprachen.
Zweitens: Sie kommen aus völlig unterschiedlichen Kulturen.
Drittens: Sie wohnen 6500 Kilometer voneinander entfernt.
Viertens: Sie haben nicht das Geld, um ständig hin und her zu fliegen.
Fünftens: Wenn einer für den anderen umzieht, was sollte er dann dort machen?
Amit steckt in den letzten Zügen seiner Ausbildung, er will Dokumentarfilmer werden. Aber in Deutschland hat er in der Branche weder Kontakte noch eine Perspektive. AuÃerdem würde er ja nur ein Touristenvisum bekommen, für drei Monate. Und Susanne will zuallererst einmal studieren.
Amit und Susanne sehen sich plötzlich mit all den Fragen konfrontiert, mit denen auch Tina und Cesar kämpfen: Soll Susanne ihr Studium sausen lassen und nach Indien ziehen, damit sie sich weiter sehen können? Oder Amit nach Deutschland kommen, wo er noch nie gewesen ist? Könnte eine Fernbeziehung, DarjeelingâDettenhausen, funktionieren?
Ein paar Wochen später muss Amit abreisen, seine letzten Prüfungen an der Uni ablegen. Sie telefonieren so oft es geht, schreiben sich E-Mails und versuchen zu verdrängen, dass Susannes Rückflug schon gebucht ist. In zehn Wochen geht es zurück. Der Tag rückt immer näher â und Amit kann nicht anders: Er muss Susanne noch einmal sehen. Kurzerhand kauft er sich ein Ticket für eine Ãberlandfahrt im Zug â ohne Platzkarte, denn die sind schon Wochen im Voraus ausgebucht. Er quetscht sich einfach auf den winzigen freien Raum vor der Zugtoilette. Drei Tage und zwei Nächte wird er da verbringen.
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