Tapas zum Abendbrot
an der Reihe wäre, mein Land zu verlassen und nach Dänemark zu gehen. Aber man muss eben flexibel sein. Diese Erfahrung macht früher oder später jedes internationale Paar.
»Du bist ja eine richtige Deutsche!«
Als er zum ersten Mal nach Deutschland kam, hatte Cesar keine groÃen Erwartungen. Er wusste: Es würde kalt sein, es würde Schnee geben. Und er wusste noch etwas Wichtiges: Das Verb kommt immer zum Schluss. Denn vor seiner Abreise hatte Cesar noch schnell zwölf Stunden Deutschunterricht genommen.
Es ist Mitte Oktober, als er auf dem Flughafen in Frankfurt landet. Aber auch Tina landet â und zwar im Alltag mit Cesar. In Lateinamerika hatten sie das Reisen geteilt, die Unbeschwertheit, die Freiheit. Jetzt teilen sie zu zweit ein kleines Studentenzimmer. Cesar will davon leben, StraÃenmusik zu machen. Aber wie viele Leute gehen bei trübem Wetter schon durch die FuÃgängerzone? Er entdeckt den Winter, den Schnee, er flippt fast aus, als er an einem zugefrorenen See vorbeikommt, einen Stock wirft und der tatsächlich auf dem See liegen bleibt. Aber er entdeckt auch etwas, das ihn wenig begeistert: Seine Tina, seine Zirkusträumerin, ist auf einmal so organisiert, so ordentlich, so strukturiert und unflexibel. »Du bist total verändert, du bist eine richtige Deutsche«, schimpft er eines Tages, als sie sich wieder über sein Chaos aufregt. »Du hast eben eine deutsche Frau gefunden«, gibt sie zurück. »Also verlang keine Brasilianerin!«
Wenn sie sich streiten, und das kommt oft vor, dann hat Cesar keinen Ort, an den er gehen kann. »Das eine ist, bei jemandem zu sein, weil man dort sein will«, sagt er. »Das andere ist, bei jemandem zu sein, weil man keine andere Wahl hat.« Er ist plötzlich Ausländer, er verdient kaum Geld, ist komplett von Tina abhängig. Und Tina findet das Hin und Her immer anstrengender: Entweder ist der andere am anderen Ende der Welt, oder er steht vor der Tür, wie Cesar jetzt, und ist plötzlich immer da. IMMER. Cesar und sie, das ist eine Liebe wie eine Fahrt in der Achterbahn, immer zwischen den Extremen. Es knallt, wenn sie sich streiten. Aber es ist immer noch magisch, wenn sie sich lieben.
Tina ist daher sehr traurig, als Cesar nach einem halben Jahr wieder zurück nach Mexiko geht, um weiterzustudieren. Jetzt ist wieder Telefonieren angesagt. Monatelang. Doch diesmal ist etwas anders: Sie haben zum ersten Mal einen gemeinsamen Alltag gehabt. Der fehlt nun umso mehr. Das Kuscheln, das Lachen und das Diskutieren wieder gegen sporadische Telefonate tauschen zu müssen â schrecklich. Am liebsten würde Tina einen festen Tag, eine feste Uhrzeit ausmachen, zu der sie sich anrufen. Aber so etwas, da ist sie realistisch, ist mit Cesar nicht machbar. Er lebt im Hier und Jetzt. Er kann keine festen Pläne machen. Wenn er reist, kann sie ihn manchmal wochenlang nicht erreichen. Wenn sie an solche Zeiten denkt, dann kommen ihr immer die Tränen.
Gerade ist Cesar wieder in Deutschland. Und Tina sagt: Die Fernbeziehung, das ewige Hin und Her, das kotze sie nur noch an. Nach sechs Jahren haben sich die beiden zwar einander angepasst, Kompromisse gefunden. Wenn er sie etwa, wild gestikulierend, wieder einmal unterbricht, dann legt sie ihm einfach die Hand auf das Knie â und er sagt ganz brav »Entschuldigung«. Aber die beiden wissen, dass es nicht reicht, sich anzupassen, Kompromisse zu finden. Denn sie müssen nicht nur den anderen lieben, sondern sein Land gleich mit. Wenn Tina und Cesar zusammenbleiben wollen, muss einer von beiden langfristig seine Heimat verlassen. Aber wenn Cesar in Deutschland ist, dann vermisst er nicht nur das mexikanische Leben, seine Freunde, seine GroÃfamilie. Er vermisst vor allem ein Ziel. »Zu Hause, da habe ich eine Berufung, da ist so vieles, was man bewirken kann«, sagt er. »Ich will Kindern helfen. Ich will die Welt verändern, mit Zirkus, mit Projekten. Ein bisschen zumindest.« Tina weiÃ, dass sie Cesar seinen Lebenstraum nicht nehmen kann. Er hat ihr auch gesagt: Wenn er sich entscheiden müsste, Tina oder Mexiko, dann wäre Mexiko die Antwort. Für Tina ist also klar: Wenn sie mit ihrem Freund eine Zukunft haben will, dann muss sie nach Mexiko gehen. Eigentlich kein Problem, schlieÃlich mag sie Cesars Land, spricht flieÃend Spanisch und könnte relativ leicht einen Job dort finden. Wenn da nur diese drei
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