Tapas zum Abendbrot
Unzählige Leute werden über ihn steigen. Es wird heià und laut sein, es wird stinken. Aber er hat ein Ziel: Er will Susanne noch verabschieden, bevor sie in den Flieger steigt. Sie hat ihm versprochen, ihn in Deutschland nicht zu vergessen. Er hat ihr versprochen, sich regelmäÃig auf den Weg zum Internetcafé zu machen, das zwölf Kilometer von seiner Studentenbude entfernt liegt. Bevor es zum Flughafen geht, umarmen sie sich. Susanne weint nicht, sie heult. Sie hat sich verliebt. Aber einen Plan, wie es mit ihnen weitergehen könnte, den hat sie nicht.
Alles, was Susanne bleibt, als sie wieder im schwäbischen Dettenhausen ankommt, sind ein paar Fotos und eine E-Mail-Adresse. Immer, wenn sie den Computer hochfährt, hofft sie auf Nachricht von Amit. Jeder Brief, jede E-Mail schafft mehr Vertrautheit. Sie schreiben und schreiben. Die Musik, die Religion, das verbindet. Aber was ist das für eine Liebe, was für ein Leben? Susanne und Amit können sich nicht vorstellen, jahrelang zwischen den Welten zu pendeln, wie es etwa Tina und Cesar gemacht haben. Als Amit sein Studium beendet, fasst er deshalb einen Entschluss: Ob er nun in Indien einen Job sucht oder in Europa, das ist doch eigentlich egal, oder?
Und so kauft Amit sich ein Ticket nach Deutschland.
Susanne und Amit, Tina und Cesar, Marike und ich, wir sind alle keine Globetrotter. Denn unsere Generation trottet nicht um den Globus, sie hetzt: vom Erasmus-Austausch in Stockholm zum Hilfsprojekt nach Tansania zur Rucksackreise durch Nepal. Wer so viel im Ausland war, der denkt, dass es kein groÃes Problem sein kann, dauerhaft umzuziehen. Im Gegenteil: Mexiko, Indien, das hört sich doch nach Abenteuer an, nach Weltläufigkeit und Erfahrungen fürs Leben.
Die meisten internationalen Paare sagen, dass sie am Anfang ähnlich gedacht hätten â und dass sie naiv gewesen seien. Erst später bemerkten sie: Es ist leicht, ins Ausland zu gehen, wenn man weiÃ, dass es nur für ein paar Monate oder ein Jahr ist. Gar nicht mehr so leicht ist es, wenn man kein Rückflugticket gebucht hat, wenn man nicht weiÃ, ob man je wieder in seiner Heimat leben wird, wenn man bemerkt, dass man nicht nur gewinnt, sondern auch verliert: Man lässt seine Freunde, seine Familie und seine Muttersprache zurück, und wenn das Geld knapp ist, dann kann man nicht alle paar Wochen in den Flieger steigen. Man muss sich an neues Essen gewöhnen, an weniger oder mehr Freiheit, daran, dass es drauÃen 40 Grad im Schatten sind, dass das Klo aus einem Loch im Boden besteht, oder dass es, wie in Deutschland, wochenlang um vier Uhr dunkel wird.
Als Amit zum ersten Mal nach Deutschland kommt, ist für ihn aber das Schwierigste, dass er nicht nur seine Heimat verlassen hat, sondern ein bisschen auch sich selbst. Er kann plötzlich nicht mehr so sein, wie er ist, denn wenn er deutsch spricht, dann wirkt und klingt er anders. AuÃerdem gibt es in Deutschland andere Kategorien als in Indien: Was ist lustig? Was ist ironisch? Was ist unverschämt und was sympathisch? Amit weià manchmal nicht, wie er bei anderen ankommt. Dabei spricht er schnell sehr gut deutsch. Und er kennt sogar einige Vokabeln, mit denen selbst viele deutsche Muttersprachler nichts anfangen können. »Aufenthaltstitel« etwa. Oder »Ehegattennachzug«.
Wenn Amit länger als drei Monate in Deutschland bleiben möchte, dann müssen Susanne und er nämlich heiraten. Noch so eine Entscheidung, die viele internationale Paare viel früher treffen müssen als andere. Denn ohne Hochzeit kein Ehegattennachzug, ohne Ehegattennachzug keine Aufenthaltserlaubnis, und ohne Aufenthaltserlaubnis keine Zukunft. Darauf, dass man sich doch erst einmal in Ruhe kennenlernen möchte, bevor man Ja sagt, nimmt das Ausländerrecht keine Rücksicht â und auch nicht darauf, dass nicht jeder, der einen Ausländer heiratet, ein abgeschlossenes Jurastudium hat. Ein solches kann nämlich durchaus gebrauchen, wer in Deutschland eine Hochzeit mit einem Nicht-EU-Bürger plant. Amit muss eine ganze Litanei an Papieren in Indien organisieren und dann zur Ausländerbehörde bringen, sogar einen HIV-Test vorlegen nebst einem ärztlichen Nachweis, dass er nicht verrückt ist. Das Problem ist nur: Manche Papiere, die der deutsche Staat verlangt, gibt es in Indien gar nicht.
Deshalb steht Susanne ein paar Wochen später nicht in Dettenhausen vorm
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