Tapas zum Abendbrot
»Honey«, sagte er ihr deshalb, »wann immer du Heimweh hast, flieg einfach nach Hause. Du kannst heute ein Onlineticket kaufen und morgen ins Flugzeug steigen. Das Geld spielt dann keine Rolle.«
So etwas zu hören, tut gut. Zu wissen: Ich bin freiwillig hier, und wenn ich will, kann ich morgen bei meinen Eltern auf der Couch sitzen. In zwei Jahren Indien hat Susanne trotzdem noch nie von heute auf morgen ein Ticket gebucht. Aber langsam wird ihr bewusst, wie viel sie aufgegeben hat: ihre Arbeit, ihre Freunde â und vor allem ihre Freiheit.
Sie ist jetzt Hausfrau und Mutter. Beides nimmt viel Zeit in Anspruch. Rohan ist ständig krank. Er ist Daumenlutscher, und mit dem Daumen wandern auch Keime in den Mund. In den ersten Wochen in Darjeeling hatte aber nicht nur er, sondern auch Susanne schlimmen Durchfall, Ãbelkeit, Fieber. Amit stand kurz davor, Frau und Sohn nach Deutschland zurückzuschicken. Zum Glück ging es Susanne dann aber irgendwann besser â und für den Kleinen fanden sie einen guten Kinderarzt.
Wenn am Nachmittag die Temperaturen sinken, packt Susanne ihren kleinen Sohn in den Jeep, und sie fahren zu ihren Schwiegereltern. Susanne unternimmt selten etwas anderes, und wenn, muss sie sich richtiggehend dazu zwingen. »Manchmal denke ich: Ich gehe lieber gar nicht raus, dann muss ich mich nicht der Gesellschaft stellen, dann werde ich nicht angeglotzt.« Auch im Haus der Schwiegereltern steht sie wieder in der Küche, schneidet zusammen mit Amits Mutter und den zwei Schwägerinnen Gemüse, backt Chapati. Wenn sie fertig sind, müsste Susanne eigentlich noch die Küche aufräumen, während die Männer schon essen. Das lehnt sie aber ab. Amit, Susanne und Rohan essen zusammen â egal, was die anderen denken. »Bei manchen Dingen«, sagt Susanne, »muss man sich einfach durchsetzen.«
Momentan genieÃt sie in der Familie sowieso eine Extrarolle: Susanne ist schwanger. Ob es ein Junge oder ein Mädchen wird, weià sie noch nicht. Die Ãrzte in Indien dürfen das den werdenden Eltern nicht sagen. Denn in manchen Stadtteilen der GroÃstädte kommen auf 1000 Jungen nur noch 800 Mädchen â die anderen weiblichen Föten werden abgetrieben.
Zur Geburt wird Susanne nach Deutschland fliegen, obwohl das bedeutet, dass sie die Krankenhauskosten aus eigener Tasche bezahlen muss. »Dafür haben wir in den letzten Jahren die Krankenversicherung gespart«, sagt sie. »So etwas gibt es ja in Indien nicht.«
Fragt man Susanne und Amit, was nach der Geburt kommt, antwortet Amit: »Wir schauen jetzt Monat für Monat. Es kann natürlich sein, dass Susanne irgendwann sagt, dass sie nicht mehr in Indien leben kann.«
Dann hieÃe es wieder: überlegen, nach einer Lösung suchen, umziehen, sich anpassen.
Vor einiger Zeit sind die beiden für ein paar Tage in Berlin gewesen â und gleich dreimal ins Kino gegangen. In Indien könnten sie das nicht. Zu groà ist die Angst vor Ãberfällen, zu oft werden sie angestarrt. Ist Berlin also möglicherweise der richtige Ort für Amit und Susanne? Oder vielleicht irgendeine andere europäische GroÃstadt?
Es ist mal wieder alles offen.
Wie deutsch wir doch sind!
(Und wie wenig wir daran ändern können)
NEUSTRELITZ, 16. AUGUST
Ich habe jetzt fünf Webseiten durchforstet, die das Wetter vorhersagen. Alle behaupten etwas anderes â aber im Prinzip unterscheiden sie sich nur in ihrer Beschreibung des AusmaÃes der Katastrophe. Die eine warnt: dicke Wolken. Die nächste: Regen. Die dritte kündigt sogar Gewitter an. Na prima! 25 Spanier reisen an und werden in ihren dunkelsten Vorurteilen bestätigt: In Deutschland ist es kalt, und es regnet. Immer. Wie sollen wir das nur mit unserer Zeremonie am See regeln? Eine Ãberdachung steht nicht zur Verfügung. »Drinnen-Option klären«, schreibe ich auf meine To-do-Liste. Dann klingelt das Telefon.
»Amor«, sagt Roberto am anderen Ende, »wir müssen noch über das Mittagessen am Samstag sprechen.«
»Alle Spanier kommen zum Haus meiner Eltern, und es gibt Pasta«, sage ich. »Das ist doch schon längst geklärt.« Wir haben uns das so ausgedacht, weil es die einzige Möglichkeit schien, um allen spanischen Gästen zu zeigen, wo ich aufgewachsen bin. Weil es ein so idyllischer Ort ist, inmitten eines Waldes, wollen wir natürlich auch ein bisschen
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