Tapas zum Abendbrot
gibt es Rotwein. Gäste sind hier zu jeder Tages- und Nachtzeit willkommen.
Marike ist in den vergangenen Jahren ein bisschen spanischer geworden â und ich ein klein wenig dänischer.
Zum Beispiel nehme ich die Arbeit nicht mehr so bierernst. Dänen machen sich da einfach nicht so einen Stress. Es gibt ja auch kaum Arbeitslosigkeit, und wenn man doch mal seinen Job verliert, dann erhält man zwei Jahre lang rund 80 Prozent des letzten Lohns. Ich mag an meiner neuen Heimat auch, dass sich die Menschen gegenseitig so vertrauen. Ich kenne in Kopenhagen Leute, die ihre Wohnung nie abschlieÃen â obwohl dänische Haustüren nicht zuschnappen, wie in Deutschland, sondern jeder einfach hereinspazieren könnte. Und dann die Sache mit den Kinderwagen. Ich weià noch, wie Morten und ich bei meinem ersten Besuch in Kopenhagen ein paar seiner Freunde zum Kaffeetrinken trafen. Mette und Anders saÃen schon im Café und winkten uns durch die Fensterscheibe zu. Doch Morten steuerte nicht auf den Eingang zu, sondern auf einen Kinderwagen, der direkt vor der Scheibe stand.
»Was hast du vor?«, fragte ich ihn.
Aber er schob nur das Tuch, das über dem Wagen hing, beiseite und winkte mich zu sich. »Das ist Paul«, sagte er und zeigte auf das Baby, das dort warm eingekuschelt und friedlich schlief. Ich war entsetzt: Mitten in der GroÃstadt stellten diese Menschen ihr Baby im Kinderwagen vor dem Café ab und tranken drinnen in aller Seelenruhe Kaffee? Wie verantwortungslos!
»Sind deine Freunde irre?«, fragte ich. »Was, wenn jemand kommt und den Wagen mitnimmt?«
Morten schaute mich genauso verwundert an, wie ich ihn. »Mette und Anders sitzen doch gleich da hinter der Scheibe! Wer soll den Kleinen denn schon mitnehmen?«
»Aber wenn das Baby aufwacht und weint? Die sehen das doch gar nicht, wenn das Tuch davorhängt.«
Später erklärte mir die Mutter von Paul, dass drauÃen so viele Leute vorbeiliefen und die dann ein Zeichen geben würden, wenn das Baby weinte.
Mittlerweile würde ich es wohl genauso machen, wenn ich ein Kind hätte. SchlieÃlich ist es allemal besser für Kinder, drauÃen an der frischen Luft zu schlafen, als in einem warmen, vollen, lauten Café.
Morten findet sowieso, dass wir Deutschen einfach lernen müssen, uns gegenseitig mehr zu vertrauen. Gerade ich sei immer so furchtbar skeptisch. Das ist ja aber auch kein Wunder: Mein Vater hat mir schon als Kind eingetrichtert, meinen Brustbeutel unter dem Pulli zu tragen, damit ihn niemand sieht. Und als ich drei war, brachte er mir einen besonders wichtigen Spruch bei. Wenn er sagte: »Alle wollen nur unser Bestes. Und was ist das?«, dann antwortete ich zielsicher: »Unser Geld.«
Irgendwann habe ich mich von diesem frühkindlich ver mittelten Verfolgungswahn natürlich emanzipiert und vermute heute bei anderen grundsätzlich erst einmal das Gute. Dennoch werde ich in Kopenhagen immer noch von der Gutgläubigkeit der Dänen überrascht â zum Beispiel in Geschäften. Ich habe schon einige Male etwas umgetauscht, ohne dass der Verkäufer den Kassenbon sehen wollte. Für ihn war einfach klar: Wenn ich in diesem Laden etwas zurückgebe, dann werde ich es wohl auch dort gekauft haben. Und Morten macht sich heute noch darüber lustig, dass man in Deutschland bei Bewerbungen immer die Zeugnisse beilegen muss. In Dänemark wird einfach angegeben, dass man einen Uni-Abschluss hat. Belege will da niemand sehen.
Wenn man wie Marike und ich eine zweite Heimat geschenkt bekommt, dann ist das also ein bisschen wie eine gemischte Tüte im SüÃigkeitenladen: ein paar Weingummis, ein paar weiÃe Mäuse, etwas Lakritze. Man pickt sich aus den Schachteln genau das heraus, was man haben möchte, sucht sich die Mischung, die einem gefällt.
Allerdings muss man auch stets darauf vorbereitet sein, dass alles wieder durcheinandergewürfelt wird. Denn wer weià schon, ob etwa Roberto für immer im regnerischen Hamburg leben mag, oder ich ewig den dunklen Winter in Kopenhagen ertrage?
Dann müssten Marike und Morten die Koffer packen.
Auch Amit und Susanne ist nach einigen Jahren in Deutschland klargeworden: Es wird Zeit für einen Umzug. Und das, obwohl Susanne mittlerweile einen Job als Fernsehmoderatorin bei einem kleinen Sender gefunden hat, obwohl Amits Filmgeschäft ganz gut angelaufen ist.
»Wir dachten immer, dass
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