Tapas zum Abendbrot
Allgemeinen aussahen, vor allem die Männer. Da habe ich mich erschrocken. Und nach fünf bis zehn Jahren meinten die Italiener plötzlich: âºSie sprechen aber fabelhaft Italienisch! Wie eine Dolmetscherin.â¹ Die hielten mich plötzlich für eine Touristin.«
So etwas erleben offenbar viele Menschen, die im Ausland wohnen. Eine Bekannte, die aus Guatemala stammt, sagte einmal zu mir: »Einerseits habe ich Heimweh, mir fehlen meine Familie, meine Freunde, die Herzlichkeit. Andererseits könnte ich heute nicht mehr dort leben. Ich habe mich daran gewöhnt, dass hier alles so sicher ist, dass man als Frau so viele Freiheiten hat. Ich fühle mich nirgends mehr richtig zu Hause, bin für beide Länder versaut.«
Wenn einer eine Reise tut, dann verändert er sich eben. Besonders dann, wenn diese Reise viele Jahre dauert. Amits Freunde in Indien sagen heute etwa, er sei halb deutsch. Manchmal jedenfalls können sie nur noch über ihn staunen. Warum regt er sich beispielsweise so auf, wenn sie mal eine Verabredung vergessen? Früher fand er das doch auch ganz normal. Und als er vor Kurzem zu Besuch in Indien war, da verhielt sich Amit aus Sicht seiner Freunde ganz und gar merkwürdig: Er hob Geld an einem Automaten ab und erhielt 500 Rupien zu viel. Anstatt es einfach einzustecken ging er in die Bank und sagte, dass der Automat wohl falsch programmiert sei. Der Manager war völlig geschockt: Was war los mit dem Mann? Warum erzählte er ihm das?
Die Antwort ist simpel: Amit hat die Ehrlichkeit in Deutschland schätzen gelernt â und er wünscht sie sich auch für Indien. Tatsächlich hat er ein klein wenig bewegt in seiner Heimatstadt. Als Amits Vater nämlich kurze Zeit später dieselbe Bank aufsuchte, stellte sich der Manager vor allen anderen Kunden hin und sagte: »Der Sohn dieses Mannes ist ein Vorbild für uns alle!«
Valentina Veneto Scheib merkt hingegen manchmal, dass sie selbst bei ihrer engsten Familie aneckt. Einmal etwa wollte sie ihre Schwester besuchen und lieber in einer Pension wohnen als bei der Familie zu Hause, um auch mal ein bisschen faulenzen oder Zeitung lesen zu können. Um ihren Freiraum zu haben. »Für meine Schwester war das tief beleidigend, eine Kriegserklärung«, erzählt Veneto Scheib. Umgekehrt war für die Schwester klar, dass sie, als sie bei Valentina zu Besuch in Deutschland war, alles, wirklich alles mit Valentina gemeinsam machen würde. »Als ich mal mit einem Anwalt telefonieren musste, saà sie brav daneben und hat gewartet, bis ich fertig war«, erzählt Veneto Scheib. »Ich konnte das ständige Zusammensein kaum noch ertragen und mich in der Situation nicht konzentrieren, aber es war nicht zu vermitteln, dass ich mal eine Stunde für mich brauchte.«
Sich abzugrenzen, erklärt sie mir, dieses Konzept gebe es in vielen Gesellschaften, etwa in Italien, gar nicht. »In Deutschland ist das aber ganz, ganz wichtig. Ich bringe meinen Patienten deshalb bei, wie sie sich in sozialen Beziehungen besser abgrenzen können.«
»Sind deine Freunde irre?«
Das extreme Zueinanderhalten der Südländer hat auch Marike kennengelernt: Als sie neulich von einem Tag auf den anderen operiert werden musste, zögerte ihre spanische Schwiegermutter keine Sekunde: Es wurden gleich am nächsten Morgen die Koffer gepackt, ein vermutlich sündhaft teurer Flug gebucht, und wenige Stunden später saà Victoria an ihrem Krankenbett in Hamburg. »Meine eigene Mutter kam sich echt komisch vor, weil sie wegen der Arbeit nicht nach Hamburg gekommen ist, Victoria dagegen sofort zur Stelle war«, sagt Marike.
Valentina Veneto Scheib findet: »Auch das bedeutet bikulturell leben und wachsen. Man sieht: Aha, es geht auch so, wie die Schwiegermutter aus Barcelona das macht. Man bekommt eine gröÃere Palette an Möglichkeiten. Das ist doch ein riesiger Gewinn!«
Marike hat aber nicht nur etwas über Familienzusammenhalt gelernt, sondern auch, dass Essen und Trinken nach der Familie das Allerwichtigste im Leben sind. Mittlerweile kann sie stundenlang tafeln, ohne an die Zeit zu denken. Wenn ich sie besuche, ist der Kühlschrank immer voll, steht immer eine Schüssel voller Gemüse in der Küche, und es wird jeden Tag frisch gekocht. AuÃerdem dauert es keine fünf Minuten, dann stehen ein Schälchen mit Oliven oder spanischem Käse auf dem Tisch, dazu
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