Tapas zum Abendbrot
1,98 40 Zentimeter gröÃer als Lingling.
Vorsichtig nähert er sich der jungen Frau an. Er weiÃ, dass Chinesinnen meist sehr zurückhaltend in der Anbahnung von Liebesbeziehungen sind. Ihre erste Verabredung verbringen sie deshalb in der Anwesenheit einer Freundin. Als es schlieÃlich funkt und sie zum ersten Mal zu Linglings Eltern fahren, ist er offiziell nur der Ausländer, dem sie gern einmal zeigen möchte, wie man das traditionelle Frühlingsfest feiert. Erst später rückt Lingling mit der Wahrheit heraus: dass sie über beide Ohren in diesen groÃen blonden Deutschen verliebt ist. Einige Zeit danach muss Daniel zurück nach Deutschland. Was nun? Die beiden wissen nur: Sie wollen sich wiedersehen.
Deshalb besucht Lingling bald darauf ihren Freund in seiner Heimat. Sie lernt nun auch seine Eltern kennen. Allerdings, so empört sie sich heute, erst am Ende der zwei Wochen. Zuerst habe Daniel ihr die Freunde vorgestellt. In China hatte sie es genau andersherum gehandhabt: Gleich am ersten Tag im Dorf ihrer Eltern hatte Daniel sämtliche Verwandte kennengelernt. Dass sie in Berlin nun zuallererst Freunden vorgestellt wird und nicht der Familie, gibt ihr einen Vorgeschmack auf die deutsche Gesellschaft. Als Chinesischlehrerin in Shanghai hatte sie zwar schon einiges von ihren deutschen Schülern gelernt: dass die Menschen hier mehr Freiraum brauchen, der räumliche Abstand zwischen ihnen auch gröÃer ist. Dass das Ego mehr zählt. Ungewohnt ist es für sie trotzdem. »In China ist der Mann der GroÃe, und die Frauen stellen sich ein Stück niedriger«, sagt Lingling. »Sie tolerieren mehr. Hier in Deutschland bildet man eine Familie, aber die eigene Identität ist trotzdem noch sehr wichtig.«
Eigentlich heiÃt es in China deshalb auch: Die Henne folgt dem Hahn. Trotzdem ist es erst einmal Daniel, der zu seiner Freundin zieht. Denn Lingling und er, das fühlt sich einfach richtig an. Daniel macht jetzt in Shanghai ein Praktikum, eigentlich ein Rückschritt für einen diplomierten Maschinenbauer. Doch aus dem Praktikum wird schnell eine feste Stelle. Und damit rückt Daniel der Idealvorstellung chinesischer Eltern ein kleines Stückchen näher.
Und das, obwohl Daniels und Linglings gemeinsame Wohnung nicht einmal zwei Schlafzimmer hat. Darauf hat Linglings Mutter eigentlich bestanden â Zusammenschlafen ist ja nicht erlaubt. »Ich glaube, sie wusste, dass wir uns nicht an die Regeln halten«, sagt Daniel. »Aber der Schein sollte wenigstens gewahrt werden.« Dass er in dieser Zeit versucht, für seine Freundin eine Krankenversicherung abzuschlieÃen, beeindruckt die Mutter allerdings sehr â auch wenn es mit der Versicherung letztendlich nicht klappt. »Davon erzählt sie noch heute«, sagt Lingling. Das ist wohl auch mit ein Grund, warum die Eltern schlieÃlich mit Daniel einverstanden sind â obwohl er keine eigene Wohnung hat, und obwohl sein Einkommen nicht das eines Bankers ist. »Letztendlich müssen sich chinesische Eltern doch auch den Realitäten anpassen«, sagt Daniel. »Wer hat denn in China schon eine eigene Wohnung? Natürlich wollen sie für ihre Töchter nur das Beste. Aber wenn sie sehen, dass es ihnen gut geht, ist das bei vielen wichtiger als jeder Besitz.«
Ein schöner platter Hinterkopf
Eltern haben in China generell deutlich mehr mitzureden, als das im westlichen Europa üblich ist. In einem Artikel in der Wochenzeitung Die Zeit beschreibt die deutsche Ãrztin Antje Haag, was sie während ihres Aufenthalts als Psychoanalyselehrerin in China beobachtet hat: »Ein Kind, das sich nicht anpasst, bringt Schande über die Familie. Intimität gibt es kaum, alles ist öffentlich. Chinesische Mütter warnen ihre Kinder vor dem Ausgelachtwerden oder böser Nachrede, die gleichsam als soziale Schuld die ganze Familie betrifft.« Weiter schreibt sie über die Generationen, die während der Kulturrevolution in den 60er- und 70er-Jahren groà wurden: »Alle sind in einer Welt aufgewachsen, in der die Familie und die Arbeitseinheit über das Schicksal des Einzelnen bestimmten. Wünsche galt es in dieser Sozialisation ebenso zu unterdrücken wie Spontaneität und Konflikte. Auch heute noch, insbesondere auf dem Land und in kleineren Städten, werden Ehen durch die Arbeitseinheiten und die Familien vermittelt; zusammengehalten werden sie vor
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