Tapas zum Abendbrot
dann weià ich: Jetzt dauert es noch etwa zehn Minuten. Und »In fünf Minuten bin ich fertig«, kann locker 20 Minuten bedeuten. Denn »fünf Minuten«, das ist mehr ein Konzept als eine Zeitangabe, es bedeutet so viel wie »einen Moment«.
Natürlich rege ich mich trotzdem manchmal noch darüber auf. Wissen ist eben nicht gleich Akzeptieren. Alles in allem sehe ich aber durch Roberto mein eigenes Land, meine eigene Kultur heute ein wenig anders als noch vor sechs Jahren. Denn mittlerweile betrachte ich vor allem meine Landsleute mehr und mehr durch die Augen meines Freundes. Wie lange es oft braucht, um anderen wirklich nahezukommen! Wie formell und steif manche Menschen sind! Und dann diese unangenehmen Pausen, in denen man krampfhaft nach einem Thema sucht! In Spanien begrüÃt man sich meist mit zwei Küsschen auf die Wange â da fällt die Nähe von Anfang an leichter. Und geredet wird über Gott und die Welt. Klar, da schalte ich auch manchmal ab, schlieÃlich wiederholt der Spanier gern und häufig, um seinen Standpunkt noch deutlicher zu machen. Aber geselliger ist es allemal.
Roberto sagt ja immer, mit deutschen Frauen habe er keine Probleme â die seien meist locker, umgänglich und erzählten gern. Aber die Männer! Da gehe es oft nur um FuÃball, andere Gespräche liefen schleppend. Und Roberto ist nicht gerade der allergröÃte FuÃballfan. Vor allem verfolgt er nicht die deutsche Bundesliga. Das ist natürlich ein ziemliches Ausschlusskriterium.
Nun ist es aber auch so, dass es für Roberto nicht immer leicht ist, den richtigen Ton zu treffen. Einmal etwa waren wir mit Freunden über Silvester in einem Ferienhaus in Dänemark. Dort schlug er einem Freund krachend auf die Schulter und fragte ihn beim Kochen, vor allen anderen: »Also Stefan, sag doch mal, wie siehtâs bei euch mit Kindern und mit dem Heiraten aus?«
Später erklärte ich ihm, dass man so eine Frage besser nicht vor einem Haufen anderer Leute stellen sollte â vor allem nicht so unvermittelt und als Einstiegsfrage. Das war für meinen Spanier schwer zu verstehen. Waren Kinder und Heiraten denn keine ganz normalen Gesprächsthemen?
Seine Theorie ist ja: Dass man bei vielen Deutschen nicht so schnell so privat werden darf, liegt auch daran, dass sie sich nur wenig anfassen. »Wie kann ich mich jemandem öffnen, den ich nie berühre?«, hat er mich einmal gefragt. Spanier tun das, auch Männer untereinander. Gute Freunde von Roberto tätscheln ihm sogar manchmal den Kopf, man umarmt sich viel und greift nach dem Arm des anderen, um einen Gedanken zu verdeutlichen. Dort redet der Körper eben mit. Distanz kann so gar nicht erst entstehen. Und mit jeder Umarmung, so sagt Roberto, fühlt er auch die Zuneigung zu seinen Freunden.
Ein Monat ohne duschen
Vielen Menschen aus anderen Ländern geht es wie Roberto. Oft stellen sie fest, dass sich die Deutschen in ihren Familien merkwürdig distanziert verhalten. Onkel und Tanten gibt man meist nur die Hand, mit den Eltern telefoniert man alle zwei, drei Wochen â für Spanier, Italiener oder auch Lateinamerikaner ist das undenkbar. Auch dass nicht sofort die Familie anreist, wenn ein Sohn oder eine Tochter im Krankenhaus liegt, finden sie herzlos. Und Isabel aus Bolivien ist das Befremden regelrecht ins Gesicht geschrieben, wenn sie von den Besuchen bei deutschen Verwandten erzählt: »Dann heiÃt es: âºJetzt setzen wir uns an den Tisch und essen.â¹ Danach wird gesagt: âºJetzt setzen wir uns auf die Couch, trinken Kaffee und reden.â¹ Dabei gibt es meist nicht sehr viel zu bereden. Es ist so still, wenn Deutsche essen. Es ist alles so formell, so geordnet.«
Die deutschen Partner können bei solchen Themen natürlich in eine Diskussion einsteigen und ihre deutsche Kultur verteidigen. Sie können aber auch einfach vom anderen lernen â schlieÃlich gibt es eine Menge abzuschauen.
Mittlerweile fällt es beispielsweise auch mir auf, wenn Mütter betonen, sie wollten ihr Kind nicht von allen betatschen lassen. Früher hätte ich verständnisvoll genickt. Heute aber frage ich mich in solchen Momenten: Was ist eigentlich so schlimm daran, wenn Freunde, Kollegen, Nachbarn oder auch nur flüchtige Bekannte ein Kind hochnehmen, ihm über die Haare streichen oder einen Stupser auf die Nase geben? Spanische und bolivianische Kinder sind all
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