Tapas zum Abendbrot
zwei bis zur Trauung noch nie im Alltag zusammengelebt. Hätte Sven mir vor der Heirat erzählt, dass er demnächst vor dem Altar stehen würde, ich hätte ihn wohl gefragt, ob er noch ganz bei Trost ist.
Aber ich habe nur eines Tages bei Facebook die Bilder entdeckt: Sven an einem weiÃen Sandstrand mit einer dunkelhäutigen Braut an der Hand. Ich hatte Sven vorher noch nie im Anzug gesehen. Ich kenne ihn als einen, der gerne mal so lange pennt, bis andere Leute von der Arbeit wiederkommen. Einer, der nach einer durchzechten Nacht 20 Stunden am Stück schlafen kann, ohne einmal pinkeln zu gehen. Das fand ich immer beeindruckend. Dieser Sven hatte nun also im Hafen der Ehe den Anker geworfen.
Sven und ich haben fünf Jahre lang zusammen in einer Studenten-WG gewohnt. Man kann also sagen, dass wir uns in quasi jeder Lebenslage kennen: Ich habe ihn mit schlimmem Kater in Unterhose am Frühstückstisch sitzen sehen, er hat mich mütterlich mit Tee versorgt, als ich mit Grippe im Bett lag. Wir haben zusammen gekocht, gestritten, getrunken â und gelitten. Denn Sven und ich gewannen im Laufe des Studiums eine gemeinsame Erkenntnis: Die Liebe ist ein Arschloch. In Sachen Beziehungen (oder besser: Möchtegern-Beziehungen) hatten wir in etwa dieselbe unvorteilhafte Unfallstatistik.
Vorsorglich hatte ich also schon die Taschentücher und eine Familienpackung Ferrero Küsschen in meinem WG-Zimmer deponiert, als Sven von seinem Sprachurlaub aus Südafrika zurückkam und freudestrahlend von seiner neuen Freundin erzählte. Er wirkte zwar ganz verliebt, und es klang auch sehr niedlich, wenn er von seiner Ruth sprach (was unter anderem daran lag, dass Sven ein wenig lispelt und Probleme mit dem englischen »th« hatte â er nannte Ruth daher hartnäckig »Ruë). Doch ich war sicher, dass die Geschichte nur mit einem gebrochenen Herzen enden konnte.
Kennengelernt hatten die beiden sich in einem Restaurant in Südafrika. Durch Zufall landeten sie am selben Tisch, weil einfach kein anderer Platz frei war, als Ruth dort mit ihren Freunden eintraf. Als der Laden in den frühen Morgenstunden schlieÃen wollte, fragte sie, ob sie Sven nach Hause bringen sollte. SchlieÃlich sei es gefährlich, jetzt allein durch die StraÃen zu laufen. »No thanks«, antwortete Sven. »Ich wohne in der Nähe und gehe zu Fuà nach Hause.« Er war sich nicht sicher, was gefährlicher war: alleine nach Hause zu laufen â oder sich Ruth anzuschlieÃen. SchlieÃlich hatte er mit ihr noch kein Wort gewechselt, sie hatten an unterschiedlichen Enden des Tisches gesessen. Sven malte sich aus, wie sie mit ihm in eine dunkle Ecke fahren würde und dann plötzlich ihre zehn Brüder kämen. Aber dann saà er schlieÃlich doch mit dieser unbekannten Frau in einem unbekannten Auto und fuhr ziemlich bald, wie er befürchtet hatte, durch ihm unbekannte StraÃen. Denn Ruth brachte ihn nicht nach Hause, sie hatte tatsächlich einen Ãberfall geplant. Mitten in der Nacht fuhr sie mit Sven zum Strand. Was da passierte, darüber haben die beiden Stillschweigen vereinbart.
Zwei Wochen nach diesem ersten Treffen saà Sven schon wieder auf dem WG-Balkon, schwärmte davon, wie »easy-going« seine Ruth sei und nervte mich und die anderen Mitbewohner damit, dass er uns immer, wenn wir das Haus verlieÃen, ein fröhliches »Enjoy!« hinterherrief. Sven hatte das Südafrikafieber gepackt. Seine sonst so käseweiÃe Haut war nun braun gebrannt, an seinem Handgelenk klackerten kupferfarbene Armreifen. Einerseits freute es mich, dass seine dreimonatige Sprachreise offenbar ein voller Erfolg gewesen war, dass es ihm so gut ging. Andererseits konnte ich diese Sache mit Ruth nicht ernst nehmen. Sven merkte das wohl, und schon ziemlich bald erzählte er uns kaum noch etwas von seiner neuen Freundin. Aber was sollte man zu dieser Beziehung auch sagen? Die beiden hatten noch nicht einmal einen Plan, wann sie sich wiedersehen würden. Und Ruth hatte daheim kein Internet. Wenn keine Zeit war, ins Internetcafé zu gehen, blieben ihnen nur teure Telefonate oder sich SMS zu schreiben. Aber was kann man auf 160 Zeichen schon austauschen? Irgendwie konnte ich nicht glauben, dass es diese Ruth ernst meinte.
Nach sechs Stunden Fahrt hält der ICE endlich am Berliner Hauptbahnhof. Ich wuchte meinen Koffer auf den Bahnsteig â und bin kurz verwirrt:
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