Tapas zum Abendbrot
morgens mit einer ganzen Reisschale Schnaps begrüÃt. Man hatte es einfach besonders gut mit ihm gemeint, deshalb gleich eine Schale voller Alkohol. Auch da lehnte er nicht ab. Er hat gelernt, in welchen Momenten er sich eine Zurückweisung leisten kann, und wann nicht. Wenn etwa in einem Tempel die Götter befragt werden, ob er einen Job wohl bekommen wird, dann macht er mit und schmunzelt nur innerlich. Die Götter sagten damals übrigens gleich dreimal, es werde klappen. Wenig später kam dann die Absage.
Ja, Lingling und Daniel haben eine Menge Anekdoten angesammelt über die Jahre, die sie nun schon zwischen den Kulturen, zwischen zwei Welten wandeln. Zum Beispiel auch die von Lingling, wie sie einmal mitten im chaotischen chinesischen Verkehr auf der Fahrbahn stehen blieb. Damals lebte sie schon eine Weile in Deutschland und war zu Besuch in der Heimat. An der stark befahrenen StraÃe wollte sie bei Grün über die Ampel gehen â doch ein Bus machte keine Anstalten, für sie anzuhalten. Sie fand sich also plötzlich auf der StraÃe wieder, lautstark schimpfend und gestikulierend, völlig auÃer sich. Sie schrie den Busfahrer hinter seiner Scheibe an, bis ihre Schwester sie erschrocken von der Fahrbahn zog. »Was machst du da, bist du verrückt?«, fragte sie entsetzt. Und Lingling antwortete: »Aber ich hatte doch Grün!«
Sie muss sich sehr, sehr deutsch bei diesem Satz gefühlt haben.
Wie man den Kampf ums Visum durchsteht
(ohne sich von den Behörden verrückt machen zu lassen)
KOPENHAGEN, 17. AUGUST
Am Bahnhof in Kopenhagen steuert ein alter Mann auf mich zu. »Hast du ein paar Kronen für mich?«, fragt er auf Dänisch. »Oh, sorry, I donât understand«, versuche ich mich aus der Affäre zu ziehen und will weitergehen. Doch der Alte legt gleich nach: »No problem«, sagt er schnell. »Do you have some coins?« Ich muss grinsen. In Dänemark sprechen sogar die Obdachlosen besseres Englisch als in Deutschland der AuÃenminister. Ich drücke dem Mann ein paar Münzen in die Hand und eile mit meinem groÃen Koffer im Schlepptau weiter Richtung Gleis. Der Zug nach Deutschland steht schon zur Abfahrt bereit. Ich wuchte meine Sachen auf die Gepäckablage und lasse mich auf den Sitz fallen.
Als ich die Schuhe ausgezogen habe und die Beine hochlege, fällt mir wieder einmal auf, wie viele nützliche Dinge man durch eine internationale Beziehung lernt. Ich habe etwa herausgefunden, wie man 1,84 Meter Körperlänge so auf zwei ICE-Sitzen verstaut, dass man ungefähr 120 Minuten schlafen kann, ohne abgestorbene Körperteile zu riskieren. Diese praktische Erkenntnis hätte ich wohl nie gewonnen, wenn ich nicht unzählige Stunden im Zug zwischen Dänemark und Deutschland verbracht hätte.
Heute aber ist an Schlaf nicht zu denken. Zum einen bin ich ganz aufgeregt, weil ich eben einen tollen Anruf bekommen habe: Ich habe den Büroplatz, den ich unbedingt wollte! Endlich nicht mehr von zu Hause arbeiten, endlich wieder Kollegen haben, endlich mittags nicht mehr alleine am Schreibtisch essen! Zum anderen bin ich viel zu gespannt. Nicht nur, weil ich morgen nach Neustrelitz fahre, wo dann langsam die Hochzeitsfeierlichkeiten beginnen. Sondern vielmehr wegen heute Abend: Da werde ich nämlich bei meinem alten Freund Sven und seiner Frau Ruth übernachten. Gut sechs Stunden dauert die Bahnfahrt von Kopenhagen nach Berlin. Einen GroÃteil davon werde ich wohl darauf verwenden, mir zu überlegen, was diese Ruth für eine ist. Bisher weià ich nur von ihr, dass sie aus Südafrika kommt, und dass Sven ihr vor ein paar Monaten ewige Liebe geschworen hat. Und ich weiÃ, dass mir die ganze Sache zwischen den beiden irgendwie suspekt ist.
Natürlich weià ich von mir selbst: Wer sich gerade verliebt hat, der ist gern mal ein bisschen irre und springt kopfüber ins kalte Wasser. Sven aber reichte das nicht. Er nahm Anlauf, sprintete auf den Abgrund zu, drückte sich kräftig ab, schloss die Augen und machte eine Arschbombe. Ins Eiswasser und vom Zehnmeterbrett. Mindestens.
Anders kann man die Anfänge der Liebe zwischen ihm und Ruth wohl kaum beschreiben. Denn zwischen ihrem ersten Kennenlernen in einem Restaurant in Kapstadt und der Hochzeit der beiden lagen gerade mal 63 gemeinsam verbrachte Tage.
Ich finde die Sache mit der Blitzhochzeit merkwürdig. SchlieÃlich hatten die
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