Tapas zum Abendbrot
»Dann bin ich ja jahrelang umsonst daran verzweifelt, dass du beim Streiten nicht auf mich zugehen willst!«
»Ach was«, sagte Roberto. »Dass man gewinnen will, ist doch die normalste Sache der Welt! Danach ziehen wir uns dann zurück und denken auch durchaus einmal darüber nach, was der andere gesagt hat. Aber das würden wir im Moment des Streitens nie zugeben.«
»Und warum müsst ihr dabei immer so laut werden?«
»Es ist ja nicht so, dass wir das unbedingt wollen, es passiert einfach. Wenn jemand laut wird, denkt ihr Deutschen gleich: âºDa hat die Kommunikation versagt.â¹ Aber wir finden Konflikte normal, das ist für uns kein Versagen. Und wir sehen es so: Je lauter man wird, desto verärgerter ist man â das ist doch auch Kommunikation.«
In einem amerikanischen Buch über internationale Beziehungen las ich einmal eine gute Begründung dafür, warum mir diese Art der Kommunikation so gegen den Strich geht: In der Ãffentlichkeit eine Szene zu machen, so hieà es dort, werde in vielen Ländern als Verteidigung der Position, als Statuswahrung angesehen. In Ländern wie GroÃbritannien gelte die öffentliche Ereiferung dagegen als sehr »low class«, als Zeichen geringer Bildung. Tatsächlich ist es mir sehr unangenehm, wenn Roberto vor anderen sauer wird oder sich lautstark beschwert. Weil sich so rüde doch nur Menschen ohne Erziehung benehmen. Deshalb stört es mich auch so sehr, wenn mein Freund sich über einen allzu lauten Nachbarn aufregt und schnurstracks in die Küche läuft, um einen Besenstiel zu holen. Damit will er dann ein paarmal gepflegt an die Decke wummern. Zum Glück habe ich es bisher immer geschafft, ihn davon abzuhalten. SchlieÃlich kann man doch erst einmal klingeln und den Nachbarn freundlich um Verständnis bitten! Man muss doch nicht gleich die aggressivste Form der Beschwerde wählen! Roberto schaut mich dann immer an, als wolle er fragen: Ja, was soll ich denn sonst machen?
Neulich war ein befreundetes Paar zum Abendessen bei uns: Thomas aus Osnabrück und seine italienische Frau Maria. Als gute Südländer hatten wir natürlich mit einigem Aufwand gekocht, es gab Gambas, verschiedene Brotaufstriche, selbst gemachte Kürbisnocken, zwei Sorten Gemüse und Hähnchen vom Bio-Fleischer. Zwischen Vorspeise und Hauptgang erzählte ich von den Besenstielattacken.
»O ja«, sagte da Thomas. »Das macht Maria auch. Furchtbar. Total aggressiv.«
»Wieso aggressiv?«, fragte seine Frau. »Das ist doch die am wenigsten aggressive Art, sich klar auszudrücken: Bitte stell die Musik leiser! Wenn man klingeln würde und den Typen direkt vor sich hätte â¦Â«
»⦠dann würde es sicher aggressiv zugehen«, ergänzte Roberto â glücklich, dass ihn endlich einmal jemand verstand. »Denn dann ist man wütend, und wer weiÃ, was daraus für ein Streit entsteht? Das Klopfen mit dem Besen ist sauber, unkompliziert und ohne Konsequenzen.«
»Aber wenn man dem Nachbarn später im Treppenhaus begegnet, das ist doch unangenehm«, sagte ich.
»Genau«, stimmte Thomas mir zu.
»Aber wieso denn?«, fragte Maria. »Man hat doch einen Konflikt vermieden! Die Nachricht ist angekommen, ohne dass man es zur Konfrontation kommen lassen musste!«
Robertos Theorie ist ja schon seit Langem, dass eben diese Vermeidung von Konfrontation die Spanier im Alltag so besonders höflich und aufmerksam sein lässt. Rempelt man in seinem Heimatland jemanden an, wird sich wortreich entschuldigt. Beschwert man sich im Restaurant über den schlechten Kaffee, wird der am Ende nicht berechnet. Versperrt man einem anderen aus Versehen den Weg, folgt eine Bitte-verzeihen-Sie-Arie, die nicht selten damit endet, dass man sich kurz unterhält und miteinander lacht. Deeskalation auf Spanisch eben. Denn, so sagt Roberto, jede dieser Situationen habe das Potenzial für mächtig viel Ãrger. In Deutschland dagegen seien die Menschen unhöflich, findet er: Sie rempelten an und gingen einfach weiter, schauten nicht, ob sie jemandem im Weg sein könnten, und im Restaurant müsse auch schlecht schmeckender Kaffee trotz Beschwerde bezahlt werden. Noch schlimmer fand er es eigentlich nur in schwedischen Discos. Bei vielen Schweden tendiert das Aggressionspotenzial ja gen null. Wer keine Konsequenzen zu fürchten hat, muss auch keine Vorsicht
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