Tapas zum Abendbrot
walten lassen â das ist Robertos Fazit nach all den Jahren im Norden Europas.
Unsere italienische Freundin Maria stimmte ihm wort reich zu. Und erzählte uns dann von einem wissenschaftlichen Konzept, das die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Konflikten recht gut einordnet: den »kontextarmen Kulturen« und den »kontextreichen Kulturen«. Menschen, die genau das meinen, was sie sagen, leben für gewöhnlich in einer kontextarmen Kultur â also in einer Umgebung, in der nicht viel zwischen den Zeilen gesagt und auch nicht nach versteckten Bedeutungen gesucht wird. Eine Aussage besteht da meist ausschlieÃlich aus Worten. Wer aber beispielsweise im groÃen Stil Mimik und Gestik nutzt, um seinen Worten mehr Bedeutung zu geben oder ihre Bedeutung zu verändern, der ist für gewöhnlich ein Vertreter einer kontextreichen Kultur. Hier macht erst das Drumherum einen Satz zu der Aussage, die man treffen will.
Ehrlich gesagt könnte ich schon meine deutschen Freunde in diese zwei Schubladen einsortieren. Und wir stammen aus ein und demselben Land! Tatsächlich würden die meisten von ihnen aber in die Schublade wandern, in der die Menschen nicht viel zwischen den Zeilen verstecken â vor allem die Männer.
Bei Roberto bin dagegen ich manchmal diejenige, die typische Männer-Sätze sagt. Etwa: »Jaja, das habe ich schon verstanden, du musst das nicht ständig wiederholen!« Obwohl ich doch mittlerweile weiÃ: Je öfter ein Spanier einen Satz sagt, desto mehr Bedeutung will er ihm geben.
Einmal saà ich zum Beispiel mit seinem Vater und dessen Freundin Lourdes im Restaurant â und musste mir immer wieder anhören: »Diesen Mann besuchen wir ganz gewiss nie wieder!« Lourdes hatte nämlich eine schlimme Erfahrung mit einem Schulfreund von Robertos Vater gemacht: Dieser Mann hatte doch tatsächlich rein gar nichts zu essen angeboten, als sie ihn eines Abends besuchten! Darüber ereiferte sich Lourdes derart, dass sie im Restaurant geschlagene 20 Minuten von nichts anderem reden konnte: »Was für eine Frechheit! Das tut man doch nicht! Dass da kein Essen auf dem Tisch steht! Nicht mal ein kleines Bocadillo mit Tomate und Schinken! Nein, da will ich wirklich nicht mehr hinfahren.« Von diesen Sätzen bot sie immer wieder neue Variationen. Sie musste es wirklich ernst meinen. Dabei setzte sie selbstverständlich Mimik und Gestik im groÃen Stil ein â schlieÃlich ist sie eine waschechte Vertreterin einer kontextreichen Kultur. Und ich begriff, dass ich alles, aber auch wirklich alles richtig gemacht hatte, als ich damals abends mit dem Zug nach Hause gekommen und mich kräftig über Robertos Tiefkühlpizza aufgeregt hatte: laute Stimme, heftiges Gestikulieren, ständiges Wiederholen. Ich hatte Signale ausgesendet, die der Empfänger bestens deuten konnte. Und war deshalb auch so erfolgreich gewesen.
Frittierte Spiegeleier und inakzeptable Spülschwämme
Meine italienische Freundin Maria nickte, als ich ihr bei unserem gemeinsamen Abendessen diese Geschichte erzählte. »Dabei erklärt diese Theorie von den kontextarmen und kontextreichen Kulturen natürlich längst nicht alles«, sagte sie, während sie ein paar Kürbisnocken mit der Gabel zerteilte. »Ich glaube zum Beispiel, dass bei Thomas und mir viele Unterschiede daher kommen, dass er in einer protestantischen Gegend groà geworden ist. Und ich stamme ja aus einem katholischen Land.«
»Und das wirkt sich auch auf das Streiten aus?«, fragte ich.
»Ich glaube schon. Man verzeiht hier im Norden nicht so schnell, weil man durch die protestantische Prägung das Bild hat: Die Menschen sind selbst für das verantwortlich, was sie tun. Nur Gott kann vergeben, das war ja ein Grundsatz von Luther. Also bemüht man sich, keine Fehler zu machen. Im Katholizismus dagegen wird einem im Prinzip alles verziehen, wenn man nur genug BuÃe tut. Der Ablasshandel war dafür das Paradebeispiel: Kaufe einen Ablassbrief, und deine Sünden werden vergeben. Das wirkt sich auch auf die Kultur eines Landes aus.« Wenn sie selbst Mist gebaut oder sich mit Thomas gestritten hat, dann kocht Maria deshalb gern etwas Nettes â quasi als modernes Ãquivalent zum Ablassbrief. »Ich bemühe mich einfach um Entspannung, das macht man in Italien so. Aber hier sind die Leute dann eher genervt und sagen: âºAch, jetzt willst du wohl
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