Tapas zum Abendbrot
mehr, als dass sie schöne Momente miteinander verbringen. Dass Streiten für ihn allerdings viel weniger ein Problem bedeutet als für sie, das merkt Karolin, als sie nach drei Jahren Fernbeziehung zu Francesco nach Italien zieht.
Dort sieht sie, wie in seiner Familie die Fetzen fliegen und sich dennoch alle lieben, wie italienische Männer ausrasten, die Frauen dann zurückbrüllen und am nächsten Tag alles vergessen ist. Sie selbst kann das nicht. »Hätte ich ihm Grenzen aufgezeigt, dann wäre ich wahrscheinlich erfolgreicher gewesen. Seine Exfrau hat das ja auch gemacht, und dann hat Francesco pariert.«
In Karolins Familie setzt man sich an den Tisch, wenn es einen Streitpunkt gibt, trinkt einen Tee und redet. Manchmal wird auch diskutiert â aber es kommt nie zu Beleidigungen. Wer so aufgewachsen ist, dem fährt jedes Brüllen tief in die Knochen. »Was für einen Italiener normal ist, ist für einen Deutschen beleidigend und nicht mehr akzeptabel«, sagt Karolin. »Und Francesco verstand wiederum nicht, warum ich nun so schrecklich verletzt war.«
Francesco will, dass Karolin sich anpasst. »Fehler hat er immer nur bei mir gesucht«, sagt Karolin. »Ich habe auch wirklich versucht, mich zu ändern. Aber damit habe ich mich wahnsinnig schwergetan.« Sie lernt zwar, sich besser Gehör zu verschaffen, anderen einfach mal ins Wort zu fallen. Aber wenn sie wieder einmal am Tisch seiner Familie sitzt, genervt ist von der Lautstärke, das Essen nicht mehr genieÃen kann und einfach nur noch weg will â wie soll Anpassung da gehen? Lächeln und alles gut finden, weil es ja eine andere Kultur ist und man offen sein will? »Das konnte ich dann doch nicht«, sagt Karolin.
Seit sie in Italien lebt, findet sie das Klischee von den »Mittelmeerprinzen« bestätigt. »DEN Italiener gibt es natürlich nicht, aber der GroÃteil wünscht sich im Prinzip eine Mutter als Partner. Die Männer werden Zeit ihres Lebens von den Müttern und GroÃmüttern verhätschelt, und die Ehefrau soll das dann auch machen. Francesco hat von mir erwartet, dass ich mich genauso aufopfere, wie er das von den Frauen aus seiner Familie kannte. In Italien geht alle Welt davon aus, dass Frauen es schon irgendwie schaffen, Kinder, Familie, Haushalt und Arbeit unter einen Hut zu bringen. Denen wird einfach alles zugetraut.«
Francesco wird immer unzuverlässiger, kommt spät nach Hause, lässt sogar am Weihnachtsabend auf sich warten. Wenn sich Karolin beschwert, dann sagt er: »Du bist in meinem Haus, hier habe ich das Sagen!« Dann tritt er in einem Streit wutentbrannt eine Tür ein â und Karolin hat endgültig genug: Sie trennt sich von Francesco. Da ist sie gerade erst ein paar Monate in Italien. Sie hat für Francesco Deutschland verlassen, ihren Job gewechselt, ihre Freunde hinter sich gelassen. Nun ist sie allein in einem Land, dessen Sprache sie gerade erst lernt, in dem sie kaum jemanden kennt. Trotzdem beschlieÃt sie, zu bleiben. »Ich wollte Italien eine Chance geben«, sagt sie. »Ich wollte nicht nur Schlechtes damit verbinden.« Sie lernt Italienisch, behält ihre Stelle an der Universität in Mailand â und lernt schlieÃlich Pablo kennen. Auch er ist frisch getrennt. Und: Pablo ist Argentinier. »Bei ihm muss ich mir erst mal wieder abgewöhnen, laut zu werden, wenn ich gehört werden will«, sagt Karolin und lacht. »Er zieht nämlich ruhige Diskussionen vor. Das ist wirklich angenehm.«
Kompromiss? Das wäre ja Aufgeben!
Sich ändern â beim Streiten ist das eine schwierige Sache. Denn Streiten ist Emotion pur; Vernunft und überlegtes Handeln treten da in den Hintergrund. Wer sich Zeit seines Lebens lautstark aufgeregt hat, wird das kaum zurückhalten können, nur weil es jemand für die bessere Form der Auseinandersetzung hält. Umgekehrt können Karolin und ich zwar verstehen lernen, dass unsere Freunde wütend werden, wenn sie sich ärgern â aber das heiÃt nicht, dass es uns nicht verletzt. Ein deutscher Mann kann begreifen, dass seine japanische Freundin selbst dann kichert, wenn sie etwas aufregt â aber das bedeutet nicht, dass er es nachvollziehen kann.
Natürlich gibt es schon innerhalb von Deutschland unterschiedliche Streitkulturen. Familien, in denen auch mal zu Weihnachten die Fetzen fliegen, Familien, bei denen alles mit
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