Tapas zum Abendbrot
gehen und die Abende nebeneinander auf der Couch vor dem Fernseher verbringen würden, in der Hand ein Glas französischer Rotwein, im TV chinesische Soapoperas. Vier Wochen haben die beiden so gelebt. Sie sind zusammen spazieren gegangen, haben gekocht, und einmal waren sie gemeinsam in der Stadt ein neues Hemd kaufen, weil Herr Dong die deutsche Waschmaschine nicht verstand und sein schönes Poloshirt nach der Wäsche ganz rosa geworden war.
»Wir haben uns wunderbar verstanden. Wir schätzen uns wirklich sehr«, sagt Frau Schulz heute. Sie sagt das voller Ãberzeugung. Dabei weià man nicht so recht, was genau sie an Herrn Dong eigentlich schätzt. Sie findet, dass er ein bisschen müffelt, wenn es auf den nächsten Badetag zugeht. AuÃerdem könnte er nach dem Frittieren daran denken, den Herd sauber zu machen. Gepflegte Unterhaltungen können die beiden ebenfalls nicht verbinden. Denn sie tauschen mehr oder minder nur ein Wort aus: »Prost!«
»Prost« gehört neben »Guten Tag« und »Wie geht es?« nämlich zu dem Wenigen, was Frau Schulz auch auf Chinesisch sagen kann. Ansonsten verständigen sie und Herr Dong sich mit einer Zeichensprache, die sich Frau Schulz ausgedacht hat. Sie redet halt gerne â und wenn es sein muss, auch mit den Händen. Wenn sie irgendwo hingehen möchte, dann macht sie Trippelschritte mit ihren Fingern und hält eine Tasche hoch. Das ist für Herrn Dong das Zeichen für: Jetzt gehen wir einkaufen.
Sie schafft es sogar ohne Sprachkenntnisse, Herrn Dong während ihrer WG-Zeit moralisch aufzubauen, etwa mit einem Bummel über den Weihnachtsmarkt oder einem gemeinsamen grünen Tee. Herr Dong hat damals Stress: Er muss drei warme Mahlzeiten zubereiten, jeden Tag. Schon morgens serviert er deshalb Fisch und Reissuppe. Dafür ist er nach Nürnberg gekommen. Herr Dongs Tochter hat nämlich ein Baby bekommen. Und da seine Frau nicht nach Deutschland reisen konnte, ist es nun seine Aufgabe, seine kleine zarte Tochter wieder aufzupäppeln, sie jeden Tag mit anständigem chinesischem Essen zu versorgen. Doch Lingling ist so erschöpft, dass sie es oft noch nicht einmal schafft, zum Essen zu kommen. So bleibt das frittierte Hühnchen dann unangerührt stehen, und Herr Dong hat ganz umsonst gekocht.
Zu Linglings Verteidigung ist zu sagen, dass sie kein normales chinesisches Baby bekommen hat. Sie hat einen 57 Zentimeter groÃen Brocken zur Welt gebracht, was wohl daran liegt, dass der Vater des Kindes kein Chinese ist, sondern Daniel, der rund zwei Meter groÃe Sohn von Frau Schulz. Und was die GröÃe betrifft, so scheint es, kommt das Baby ganz nach dem Papa.
60 Jahre lang sind Frau Schulzâ und Herrn Dongs Leben parallel verlaufen, getrennt durch 8000 Kilometer, sieben Zeitzonen und zehn Flugstunden. Doch nun wird der kleine Wonneproppen Lukas sie für immer verbinden.
Wenn sich zwei Menschen aus unterschiedlichen Ländern verlieben, so wie Daniel und Lingling, dann müssen nicht nur sie herausfinden, wie sie miteinander auskommen, wie sie die Sprachbarriere überwinden, wie sie es mit der Religion halten wollen oder in welchem Land sie leben möchten. Es müssen auch zwei Familien zusammenwachsen, die aus unterschiedlichen Kulturen kommen, die an unterschiedliche Götter glauben oder die sich auÃer mit Händen und FüÃen überhaupt nicht verständigen können â so wie Frau Schulz und Herr Dong. Die Familie Dong muss zudem damit leben, dass ihre Tochter viele Flugstunden weit entfernt wohnt, dass sie, wenn es ihr schlecht geht, nicht schnell ins Auto steigen und zu ihr fahren können, dass ihr Enkel weitgehend deutsch aufwachsen wird und sie ihn nur einmal im Jahr sehen werden. Sie werden das Frühlings- und das Mondfest oft ohne Lingling feiern müssen. Und wenn sie alt werden und gebrechlich, dann muss auch Lingling damit leben, dass sie sich nicht richtig um ihre Eltern wird kümmern können.
Wer zudem Bürger eines Landes ist, aus dem man nur mit Visum nach Deutschland einreisen kann, der braucht für jeden Besuch bei seinen Enkeln eine Einreiseerlaubnis und muss nachweisen, dass er genug Geld hat â damit keine Gefahr besteht, er könne dem deutschen Staat auf der Tasche liegen. Immerhin soll nun der sogenannte EU-Visakodex dafür sorgen, dass die einzelnen Behörden keinen Ermessensspielraum mehr haben, sondern beispielsweise
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