Tapas zum Abendbrot
nehme einen groÃen Schluck des Hochzeitsweins.
Paul überlegt kurz. »Na ja, so genau weià ich das gar nicht.«
In Emilys »Paul ist der tollste Schwiegersohn der Welt«-Schauspiel, das sie bei ihren Eltern in China aufführte, war Pauls Rolle nämlich genau definiert: Er war Statist und durfte nett lächeln. SchlieÃlich wurde chinesisch gesprochen. So erfuhr er erst abends, wenn alle anderen im Bett waren, dass neben der Peking-Ente auch jede Menge Lügen und Halbwahrheiten serviert worden waren. So präsentierte Emily ihn etwa nicht als Sounddesigner, sondern als Ingenieur. »Wenn jemand genauer nachfragt«, verteidigte sie ihre Lüge, »dann kann ich ja sagen, du bist Toningenieur.« Paul blickte sie damals skeptisch an. Sie aber fügte selbstbewusst hinzu: »Stimmt doch auch, fast zumindest.«
Auch Pauls familiäre Situation erschien ihr nicht vereinbar mit den Vorstellungen ihrer Eltern. Die beiden Scheidungen seiner Mutter erwähnte Emily daher besser nicht und auch seine beiden jüngeren Brüder strich sie aus ihrem Drehbuch. Die beiden haben nämlich einen anderen Vater als Paul. Nur Marike, seine hundertprozentig leibliche Schwester, die durfte in den Erzählungen vorkommen.
Paul konnte abends manchmal kaum fassen, was für Geschichten seine Freundin ihrer Familie auftischte. Vor allem, weil klar war, dass ihre Eltern früher oder später einmal die Schwiegereltern kennenlernen wollen würden. SchlieÃlich hatte Emilys Mutter schon ihren Besuch in Europa angekündigt: Demnächst will sie ihre Koffer packen, nach Rotterdam reisen und bei Paul und Emily einziehen â für volle drei Monate. In diesen drei Monaten wollen sie auch einmal nach Neustrelitz fahren, um die deutsche Familie zu präsentieren. Spätestens dann wird sich nicht mehr verbergen lassen, dass es da noch zwei weitere Geschwister gibt. Emily hoffte während der Chinareise darauf, dass ihre Eltern die Wahrheit schon schlucken würden, wenn sie Paul erst einmal akzeptiert hätten. Und Paul fand die ganze Situation zwar merkwürdig, aber andererseits wusste Emily natürlich viel besser, wie sie ihre Eltern anpacken musste. Er konnte das alles ohnehin nur schwer nachvollziehen, schlieÃlich hatte er noch nie so unter Druck gestanden wie Emily. Seine Eltern wünschen sich für ihn nur, dass er glücklich ist. Emily hingegen soll den Status einer Beamtenfamilie bewahren, am besten sogar steigern. Und vor allem, so sehen es ihre Eltern, soll der Zukünftige ihrer Tochter noch repräsentabler sein als die Partner ihrer Freundinnen.
In eine Halbwahrheit war Paul daher auch von Anfang an eingeweiht: Er sollte auf der Chinareise grundsätzlich alles bezahlen. Das Taxi, das Essen, das Hotel â und zwar für die ganze Familie, das hatte Emily ihm aufgetragen. SchlieÃlich musste er unter Beweis stellen, dass er angemessen für seine zukünftige Gattin sorgen konnte. Davon, dass das Geld, was er da auf den Restauranttisch blätterte, zur Hälfte von Emilys Gehalt als Anwältin stammte, musste ja niemand etwas erfahren.
»Immerhin hat ihr Vater auch manchmal bezahlt, der wollte auch groÃzügig sein«, erzählt Paul. »Ich habe bei der ganzen Sache einfach mitgespielt. Eigentlich finde ich es nicht so toll, so ein Schauspiel aufzuführen, aber ich kann ihr ja auch nicht in den Rücken fallen.«
»Sie braucht da auch deine Unterstützung«, sagt Anna von der anderen Seite des Küchentisches. Sie hat die ganze Geschichte mit angehört. »Es ist verdammt schwierig, einen Freund bei den Eltern zu präsentieren, der vielleicht nicht ganz dem entspricht, was sie sich immer für ihre Tochter gewünscht haben.« Anna spricht da aus Erfahrung. Ihr Freund Aminu ist gläubiger Moslem und geht jeden Tag in die Moschee. Es ist nicht schwierig, sich die Gesichter ihrer Eltern auszumalen, als sie von Annas Partnerwahl erfuhren. Man muss sich ihren Vater wie einen nordischen Seebären vorstellen, mit weiÃem Rauschebart und Zopf. Er liebt Dänemark und verdient auf mittelalterlichen Märkten als Tischler sein Geld. Aminu dagegen kommt aus Afrika, ist aus dem Niger nach Deutschland geflohen. Er liebt Anna und Allah. Sein gröÃter Wunsch wäre es, dass Anna irgendwann zum Islam konvertiert.
»Es ist ja nicht so, dass meine Eltern nicht aufgeschlossen wären oder etwas gegen Ausländer
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