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Tapas zum Abendbrot

Tapas zum Abendbrot

Titel: Tapas zum Abendbrot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Basel Nicole Frick Marike
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Zeremonie eigentlich funktioniert, wurden Linglings Großmütter abwechselnd angerufen, um Instruktionen für den weiteren Ablauf zu erhalten. Per Fernanweisung wurde Lingling also das Tuch über den Kopf gestülpt und Daniel in das Haus ihrer Eltern gelassen. Er kniete vor ihr nieder, hielt um ihre Hand an und entfaltete dann den Puschel vor seiner Brust zu einer langen Kordel, an dem er seine Braut aus dem Haus zerrte. Lingling weinte ordentlich, so, wie es die Tradition verlangt, stieg, wie von den Großmüttern gefordert, über den mitgebrachten Kohleofen und dann in die Sänfte, während Daniel auf das Pferd kletterte, wobei klettern übertrieben ist: Eigentlich musste er nur ein Bein überwerfen, denn der Gaul hatte eine eher chinesische Größe. Immerhin war Daniel somit auf der zwei Stunden langen Tour durch die Stadt an der frischen Luft, während Lingling unter ihrem Tuch schwitzte, und ihr vom Schaukeln der Sänfte immer übler wurde. Mit dem Brautpaar zogen auch Trommler und Artisten durch die Straßen, die als Drachen verkleidet durch die Gegend wirbelten. Ein eigens engagierter Trupp zündete Böller, Daniel winkte von seinem Pferd, die Leute am Straßenrand schossen Fotos. Am Haus seiner Eltern angekommen, stieg Lingling dann wieder über den Kohleofen, um die bösen Geister zu vertreiben, und wurde von ihrem neuen Ehemann mit einem roten Stab endlich von ihrem Tuch befreit.
    Â»Da ging das Theater los«, erzählt Frau Schulz. »Wir hatten ja keine Ahnung, was wir jetzt machen sollten.«
    Â»Ihr müsst nun den grünen Tee zubereiten«, signalisierte ihnen Linglings Schwester. Die Schulzens kochten also den Tee, mit 70 Grad warmem Wasser, so, wie sie es gelernt hatten. Sie versuchten alles richtig zu machen und lächelten freundlich, auch wenn sie wieder einmal nichts verstanden. »Dann sollte ich meiner Schwiegertochter auf einmal ein Geschenk überreichen«, erzählt Frau Schulz. »Aber ich hatte ja keines da, davon hatte niemand etwas gesagt.« Irgendjemand organisierte aber schnell eine goldene Uhr, die sie Lingling ans Handgelenk legen konnte.
    Damit hatten die Schulzens den ersten von drei Teilen der Hochzeit mit Bravour gemeistert. Weiter ging es in einem großen, grell ausgeleuchteten Saal und einem schrill ins Mikro brüllenden Conférencier, der die Hochzeitszeremonie von Daniel und Lingling samt Kohleofen, Tuch, Stab und Kordel noch einmal für die 400 Gäste nachspielen ließ. Daniels Vater hielt eine Rede auf Chinesisch, von der man nicht weiß, ob jemand sie verstanden hat, die aber frenetischen Jubel erntete. So war also die Stimmung gut, als er und seine Frau mit allen 400 Gästen anstießen. Nun verstanden sie auch, warum ihr Sohn einen »Bestman« brauchte: »Der war dafür da, die Schnapsgläser auszutrinken, denn der Bräutigam musste ja auch mit allen Gästen anstoßen«, erklärt Mutter Schulz. »Und Daniel musste schließlich noch die Hochzeitsnacht hinbekommen. Außerdem gab es ja auch noch einen dritten Hochzeitsteil zu erledigen.« Eine amerikanische Feier nämlich, mit üppigem weißen Brautkleid, schwarzem Anzug, riesiger Hochzeitstorte, Sektglaspyramide und Feuerwerk.
    Â»Ich fand das schon etwas übertrieben, aber so eine amerikanische Hochzeit, das ist ja in China heute das Normale«, erklärt Frau Schulz. Die jungen Leute orientierten sich schon sehr am Westen, nicht nur, was die Hochzeitsfeier angehe, sondern auch, was die Partnerwahl betreffe. »Die Freundinnen von Lingling, die wollen auch alle gerne einen Europäer oder einen Amerikaner zum Mann.«
    Warum das so ist, kann Stefanie Schulz nur erahnen: Vielleicht, weil sie damit rechneten, in Europa oder den USA als Frau mehr Anerkennung zu bekommen, dass sie dann freier und gleichberechtigter seien. Auf eines müssen die Bräute aber gefasst sein: Chinesische Luftballons und europäische Nasen, die vertragen sich nicht unbedingt. Daniel, so erzählt es zumindest Frau Schulz, hatte abends jedenfalls so lange die Ausdünstungen der Plastikballons eingeatmet, dass ihm in der Hochzeitsnacht eher übel als nach irgendetwas anderem zumute war.
    Mutter und Vater Schulz erinnern sich gerne an die Hochzeit in Shanghai. Heute haben sie nicht nur eine chinesische Schwiegertochter, sondern auch ein chinesisches Enkelkind. »Mich macht das ja schon wuschig, wie der Kleine

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