Taquanta: Zwischen Traum und Wirklichkeit (German Edition)
dass er merkte, wie mich diese Neuigkeit aus der Fassung brachte, also versuchte ich, lässig zu wirken. Es misslang mir jedoch kläglich. Wir waren bis zu einem Brunnen gegangen, und ich musste mich erst einmal setzen. Ich tauchte meine Hand in das kalte Wasser. Klar und deutlich spürte ich seinen Blick auf mir, doch ich tat so, als bemerke ich es nicht und versuchte meine Gedanken zu ordnen. Als ich sie halbwegs unter Kontrolle hatte, drehte ich mich um und bedeutete ihm, sich zu mir zu setzen.
»Wenn du ihm morgen gegenüberstehst, wirst du ihn töten?« Meine Stimme klang sogar in meinen Ohren fremd. Zu hoch, schrill und viel zu leise. Ich war mir nicht sicher, ob er mich überhaupt gehört hatte, bis er sein Gesicht mir zuwandte.
»Ich hätte mit sehr vielem gerechnet, aber nicht mit dem. Du scheinst zu verstehen, wann ich etwas sagen will und wann nicht. Das mag ich. Danke.«
Ich streichelte seine Schulter. Er nahm meine Hand, legte sie in seinen Schoss und betrachtete sie, während er weitersprach.
»Ich weiss es nicht.« Der Satz kam so leise, ich musste mich vorbeugen, um ihn zu verstehen.
»Ich hasse ihn. Nur schon wegen dem, was er dir angetan hat. Nicht nur, weil du mir wichtig bist, auch weil er einen Menschen angefallen hat. Und er ist ein Monster. Aber er ist – so sehr ich mir auch wünschte, es wäre anders – mein Vater.« Er drehte meine Hand um und fuhr den Linien nach.
»Aber …was ist, wenn wir uns gegenüberstehen und … und er mich zuerst tötet?« Giardio sah erschöpft aus, als hätte er diese Frage schon so oft gedreht und gewendet und wäre nie zu einem Ergebnis gekommen. Da ich auch keine Antwort darauf wusste, hielt ich es für besser zu schweigen.
»Denkst du, er würde zusehen, wie jemand anderer seinen Sohn umbringt? Oder würde er eingreifen?« Die Frage war direkt an mich gerichtet.
»Ich weiss es ehrlich nicht. Auf der einen Seite ist er ein Vampir und unser Feind, auf der anderen dein Vater. Ich glaube, es gibt keine Lösung. Du musst es einfach auf dich zukommen lassen und hoffen, dass du nicht in eine solche Situation gerätst. Oder du könntest einfach hierbleiben. Dann wäre das Problem gelöst.«
Er strafte mich mit einem Blick, der deutlich sagte: Das ist das Absurdeste, was du heute Abend von dir gegeben hast.
»Mein Vater war ein Bauer. Er war weder besonders reich, noch besonders arm. Er traf meine Mutter eines Tages im Wald, als er über eine Wurzel gestolpert war undsich den Fuss verdreht hatte. Sie fand ihn und brachte ihn nach Hause, wo sie ihn pflegte. Sie verliebten sich, heirateten, bekamen mich und lebten glücklich mit mir auf dem Landgut. Irgendwann kam dann Davinia auf die Welt. Sie konnte, im Gegensatz zu mir, schon von klein auf fliegen. Sie ist viel mehr Elfe als ich. Das Einzige, das nicht so ist wie bei anderen Elfen, ist, soviel ich weiss, ihre Körpertemperatur. Ihre ist wie meine und wie die der Dorfbewohner. Mein Vater konnte nicht glauben, dass sein Kind so sehr eine Elfe war und war davon überzeugt, meine Mutter hätte ihn betrogen. Also verliess er uns. Er ging einfach weg. Das war vor sechs Sommern. Ich lebte dann noch zwei Sommer bei ihm, denn ich durfte ja erst mit dreizehn ins Dorf. Meine Schwester lebte damals bei meiner Mutter. Mein Vater verbot mir, die beiden zu sehen.«
Seine Stimme wurde abschätzig, als er von seinem Vater sprach, sie triefte vor unterdrücktem Zorn.
»Mit dreizehn zog ich dann zu ihnen ins Elfendorf. Vor drei Sommern, als ich vierzehn war, wurde mein Vater von einem Vampir gebissen und verwandelte sich selbst in einen. In der Zeit davor besuchte ich ihn regelmässig, doch damit war selbstverständlich Schluss. Bis ich ihm im Wald begegnete, bis ich dich vor ihm rettete, hatte ich ihn nicht mehr zu Gesicht bekommen.«
Seine Geschichte hing über uns wie eine unsichtbare Wolke. Was gab es dazu auch zu sagen?
»Nun kennst du die Wahrheit und meine Geschichte.« Er wollte es tapfer sagen, doch ich sah seiner Haltung an, wie schwer es ihm fiel, stark zu bleiben. Als hätte er Angst, ich könnte jeden Moment schreiend davonlaufen. Neben mir sass ein 17-jähriger Jugendlicher, der mich an einen zehnjährigen Knaben erinnerte. Ich legte meine Händeauf seine Schulter und wartete, bis er mir seine volle Aufmerksamkeit schenkte.
»Danke. Es bedeutet mir viel, dass du dich mir anvertraut hast. Und ich möchte, dass du weisst: Du hast nichts damit zu tun. Egal, was dein Vater ist; egal, ob er ein Monster ist; du
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