Taran Bd 1 - Das Buch der Drei
dass wir in Prydain ein friedliches Leben führen, soweit das unter Menschen überhaupt möglich ist; aber es ist mir zu Ohren gekommen, dass sich im Süden ein neuer mächtiger Kriegsherr erhoben habe – so mächtig wie Gwydion, wenn nicht, wie manche behaupten, noch mächtiger. Er ist leider ein Mann des Bösen und spielt mit dem Tod, wie andere Leute mit ihren Hunden spielen.«
»Wer ist es?«, fragte Taran.
Dallben schüttelte das Haupt. »Kein Mensch kennt seinen wahren Namen, noch hat jemals ein Sterblicher sein Gesicht erblickt. Er trägt eine Maske mit einem Hirschgeweih, deshalb nennt man ihn den Gehörnten König. Seine Absichten sind mir unbekannt, doch befürchte ich, dass er auf Seiten Arawns steht. – Was ich dir nun zu sagen habe, dient deiner eigenen Sicherheit«, fügte er hinzu. »Ich sah heute früh wieder, dass dein Kopf voller Unsinn steckt, dass du von Heldentaten und Waffenruhm träumst – ich rate dir, es sofort zu vergessen! Draußen zieht eine unbekannte Gefahr herauf; und da ich eine gewisse Verantwortung dafür übernommen habe, dass du die Schwelle des Mannesalters tunlichst mit heiler Haut erreichst, darfst du Caer Dallben unter gar keinen Umständen verlassen! Nicht einmal über den Obstgarten darfst du hinaus, geschweige denn in den Wald – jedenfalls jetzt noch nicht.«
»Jetzt noch nicht«, seufzte Taran. »Ich fürchte, so wird es immer heißen. Soll ich denn mein ganzes Leben zwischen Grünzeug und Hufeisen vertrödeln?«
»Es gibt Schlimmeres«, sagte Dallben. »Du schwärmst von Heldentaten und Waffenruhm; doch glaubst du, es sei damit getan, dass man ein Schwert schwingt und sich auf feurigen Rossen tummelt?«
»So wie Fürst Gwydion!«, rief der Junge dazwischen. »Ihm möchte ich’s gleichtun!«
»Das musst du dir aus dem Kopf schlagen«, sagte Dallben.
»Aber warum?« Taran sprang von der Bank hoch. »Warum denn?«
»Warum?«, unterbrach ihn der Alte. »Zuweilen lernen wir mehr, indem wir nach einer Antwort auf unsere Fragen suchen und sie nicht finden, als durch die Antworten selbst. Wenn du mit etwas Verstand heranwächst, woran du mich manchmal zweifeln machst, wirst du in dieser Sache zu deinen eigenen Schlüssen kommen.«
Taran ließ sich auf die Bank zurückfallen und sagte nichts mehr dazu. Dallben begann wieder nachzusinnen. Sein Kinn sank immer tiefer auf die Brust hinab, der Bart wallte ihm um die Ohren wie eine Nebelbank. Schließlich fing er friedlich zu schnarchen an.
Der Duft von blühenden Apfelbäumen strich zum offenen Fenster herein. Die Felder waren frisch umgepflügt, in der Ferne erspähte Taran den grünen Saum des Waldes.
Das »Buch der Drei« lag zugeklappt auf dem Tisch. Dem Jungen war es nie erlaubt worden, selbst darin zu lesen. Neugier ergriff ihn. Während der alte Meister vor sich hin schnarchte, erhob sich Taran und schlich durch das schimmernde Gitter der Sonnenstrahlen auf den Tisch zu. Seine Hände berührten den Einband des Buches. Im nächsten Augenblick zuckte er zurück und stöhnte vor Schmerz laut auf. Seine Finger brannten, als habe er in ein Wespennest gegriffen. Er taumelte gegen die Bank und fiel zu Boden. Leise wimmernd steckte er die Finger in den Mund.
Dallben blinzelte ihn an und gähnte. »Geh zu Coll und lass dir ein Mittel zum Einreiben geben, sonst bekommst du Blasen!«
Schamerfüllt und mit schmerzenden Fingern eilte Taran aus dem Haus. Er fand Coll in der Nähe des Gemüsegartens.
»Bist du etwa am ›Buch der Drei‹ gewesen?«, meinte Coll.
»Na, nun weißt du Bescheid! Viel sehen, viel üben, viel leiden: Das sind nun mal die drei Grundlagen allen Lernens.« Er führte Taran zum Stall, wo er die Arzneien für das Vieh aufbewahrte, und rieb ihm die Finger mit einer Salbe ein.
»Was nützt mir die Lernerei, wenn man mir alle wichtigen Dinge verheimlicht«, stöhnte Taran. »Ich glaube, es ist mir vom Schicksal auferlegt, immer bloß im Dunkeln herumzutappen und nie etwas wirklich Aufregendes zu erleben. Ob es mir je vergönnt sein wird, Großes zu leisten? Wer bin ich denn eigentlich? Ich bin nichts und niemand!«
»O doch«, widersprach ihm Coll. »Du bist Taran von Caer Dallben, und meinetwegen sollst du von nun an sogar einen Titel führen. Hiermit ernenne ich dich zum Hilfsschweinehirten! In dieser Eigenschaft hast du die ganz besondere Ehre, mir bei der Versorgung unserer guten Hen Wen zu helfen. Achte darauf, dass ihr Trog immer voll ist! Hole Wasser für sie am Brunnen und schrubbe sie jeden
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