Taran Bd 1 - Das Buch der Drei
Gwythaint.
Der Findling
er Gwythaint hing in den Dornen wie ein zerknitterter schwarzer Fetzen. Er war nicht viel größer als ein Rabe, sehr jung noch und kaum aus der ersten Mauser heraus. Der Kopf schien für seinen Körper ein wenig zu groß zu sein, die Federn waren noch dünn und struppig. Als Taran sich vorsichtig näherte, versuchte der Gwythaint sich aus dem Busch zu befreien; doch es gelang ihm nicht. Da öffnete er den krummen Schnabel und stieß ein warnendes Zischen aus. Seine Augen blickten stumpf und waren halb verschlossen. Die Gefährten waren Taran gefolgt. Als Gurgi den Gwythaint erkannte, zog er den Kopf ein und verkroch sich schaudernd in den Büschen. Melyngar wieherte ängstlich auf. Das weiße Schwein indessen ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Es setzte sich auf die Hinterbacken und schaute freundlich in die Runde.
Fflewddur pfiff beim Anblick des Vogels kurz durch die Zähne. »Ein Glück, dass die Alten nicht da sind!«, sagte er. »Bei Gefahr für die Jungen reißen die einen ausgewachsenen Mann in Stücke.«
»Der kleine Gwythaint erinnert mich an Achren«, sagte Eilonwy. »Sie hatte genau solche Augen – besonders an Tagen, an denen sie schlecht gelaunt war.«
Doli löste die Axt vom Gürtel.
»Was hast du vor?«, fragte Taran.
Der Zwerg blickte ihn verwundert an. »Was ich vorhabe? Dumme Frage! Dem schlag ich den Kopf ab!«
Taran packte den Zwerg am Arm. »Nein!«, rief er. »Siehst du nicht, dass er verwundet ist?«
»Tut er dir etwa leid?«, knurrte Doli entrüstet. »Wäre er nicht verwundet, so stünden wir jetzt nicht hier, weder du noch ich.«
»Ich will nicht, dass er getötet wird«, sagte Taran mit fester Stimme. »Er ist in Not und braucht Hilfe.«
»Recht hast du«, pflichtete ihm das Mädchen bei. »Wir müssen uns seiner annehmen, er sieht elend aus.«
Doli schleuderte die Axt zu Boden und stemmte die Arme in die Hüften. »Ich kann mich nicht unsichtbar machen«, raunzte er, »aber ein Narr bin ich trotzdem nicht. Los doch, hilf diesem grauslichen kleinen Ding! Gib ihm zu trinken, verbinde ihm die Wunden! Du wirst schon sehen, was dabei herauskommt. Sobald es ihm ein wenig besser geht, wird es auf schnellstem Weg zu Arawn fliegen – und was weiter mit uns geschieht, kann sich jeder an seinen Fingern abzählen.«
»Was Doli gesagt hat, ist leider nur allzu wahr«, meinte Fflewddur Fflam. »Ich für meine Person finde zwar wenig Geschmack daran, jemandem den Kopf abzuhacken – aber was sein muss, muss sein. Weshalb sollten wir einem von Arawns Spionen Mitleid erweisen?«
»Darüber denkt Medwyn anders«, antwortete der Junge. »Außerdem scheint es mir wichtig zu sein, diesen Vogel nach Caer Dathyl zu bringen. Niemand hat je einen Gwythaint lebend gefangen, soweit ich weiß. Vielleicht könnte er uns von Nutzen sein.«
Der Barde kratzte sich am Kopf. »Nun ja, wenn er uns überhaupt etwas nützen kann, dann wohl eher lebend als tot. Trotzdem erscheint mir die Sache ziemlich gewagt.«
Taran gebot den Freunden ein wenig zurückzutreten. Er sah, dass der Gwythaint verwundet war, jedoch keineswegs nur von Dornen. Hatte vielleicht ein Adler ihn angegriffen? Behutsam trat Taran näher. Wieder zischte der Gwythaint, dann drang ein langes, heiseres Rasseln aus seiner Kehle. »Hoffentlich stirbt er nicht!«, dachte der Junge und schob seine Hand unter den fiebernden Körper. Der Gwythaint versuchte sich mit Schnabel und Krallen zur Wehr zu setzen; doch er war schon zu matt dazu. Taran befreite ihn aus den Dornen und sagte zu Eilonwy: »Ich gehe jetzt ein paar Kräuter holen. Sorge einstweilen für heißes Wasser!«
Während das Mädchen ein Nest von Gras und Blättern herrichtete, musste Gurgi Feuer anmachen und einen Kessel mit Wasser darüber hängen. Unterdessen begab sich Taran, von Hen Wen gefolgt, auf die Kräutersuche. »Wie lang sollen wir hier denn bleiben?«, schimpfte der Zwerg ihm nach. »Nicht, dass mich’s störte! Ihr seid es ja, die es eilig haben, nicht ich. Aber trotzdem!« Er hängte die Axt wieder an den Gürtel, zog die Mütze fest ins Gesicht und hielt wütend den Atem an.
Wieder einmal war Taran dankbar dafür, dass Coll ihn in der Kräuterkunde unterwiesen hatte. Zum Glück wuchs das meiste, was er für seinen Absud benötigte, ganz in der Nähe. Hen Wen beteiligte sich eifrig an der Suche. Munter grunzend schnüffelte sie zwischen Blättern und Steinen umher; und es gelang ihr tatsächlich, ein wichtiges Pflänzchen aufzustöbern,
Weitere Kostenlose Bücher