Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
zaghaft kämpft, erlangt die Kontrolle über seinen Gegner nie«, murmelte er, mehr zu sich selbst als an den Waffenmeister gerichtet.
Sein Gegenüber lachte. »Da ist etwas Wahres dran. Doch …« Und damit wurde er wieder ernst. »… zwischen Zaghaftigkeit und Zorn liegt ein weites Feld, und es ist mit den Leichen derer übersät, die nicht das richtige Maß fanden. Also vertrau einfach meinem Urteil, und lass dich zukünftig nicht durch gemeine Worte zu leichtsinnigem Handeln verführen, denn es wäre eine Schande, wenn du dich nur deshalb auf diesem Feld zu einer verfrühten Ruhe niederlegen würdest.«
»Wie Ihr es wünscht, Meister.«
Da packte ihn Ilrod, zog ihn nah zu sich heran und flüsterte eindringlich: »Nein! Nicht, wie ich es wünsche. Du selbst musst Einsicht zeigen und die Weisheit in meinen Worten erkennen.«
Tarean presste die Lippen zusammen und funkelte ihn an. »Ja, Meister.«
Der alte Soldat seufzte und ließ ihn los. »Es hat keinen Sinn. Nicht hier, nicht jetzt. Verschwinde, Junge, reinige dein Schwert und melde dich dann beim Stallmeister. Du darfst fünf Tage lang den Knechten beim Ausmisten helfen …«
»Aber …«, wollte Tarean ansetzen, doch ein finsterer Blick Ilrods überzeugte ihn davon, dass es Grenzen gab, die man auch in erregtem Gemütszustand nicht überschreiten sollte.
»… und du sollst wissen, dass es nur deshalb nicht zehn Tage sind, weil dein Zorn auf Silas berechtigt war. Und jetzt troll dich!«
Missmutig kam der Junge der Aufforderung des Waffenmeisters nach. Er schulterte sein Übungsschwert und stiefelte hinüber zum Haupthaus der Burg, in der Absicht, sich einen Lappen und Öl zu besorgen, um die Klinge dann draußen im Schein der nachmittäglichen Neunmondsonne zu polieren, bis sie wieder glänzte wie der Spiegel in den Gemächern von Dame Jannis von Bergen, seiner Ahne.
Solange er sich erinnern konnte, lebte er schon bei seiner Ahne und ihrem Gemahl Urias auf Burg Dornhall im Almental. Das Tal, das von dem Fluss Eilwasser geteilt wurde, lag weit im Westen von Bergen, und Bergen wiederum war die westlichste Gemarkung des Landes Breganorien. Jenseits davon, so lautete ein landläufiges Sprichwort, kamen nur noch die Arden und der Sonnenuntergang. Urias war der Than von Bergen, das sich an die Ausläufer des schier unermesslichen Gebirges schmiegte wie ein Kind an die Mutterbrust.
Seine Eltern hatte Tarean niemals kennen gelernt. Seine Mutter, Silea, war gestorben, als er kaum ein Jahr alt gewesen war. Er kannte sie lediglich aus Geschichten. Es hieß, dass die sanftmütige und schöne Frau nur aus Liebe die Berge verlassen hatte. Nur aus Liebe sei sie in die Kernlande von Breganorien gezogen, nach Agialon, die mit ihren vielen tausend Einwohnern größte Freistadt der gesamten Bündnislande des Westens. Und auf der Flucht aus eben dieser vor dem heranrückenden Bestienheer von Calvas, dem Tyrannen und heutigen Herrscher über einen Großteil der bekannten Welt, habe sie schließlich ihr Leben verloren.
Ahne Jannis erzählte gerne von seiner Mutter, ihrer Tochter, wie sie als Kind Dornhall unsicher gemacht hatte und wie ihr mit dem Erblühen ihrer Weiblichkeit die Herzen aller Männer zugeflogen waren, bis sie das ihre wiederum an einen stolzen Ritter verloren hatte. Von diesem Ritter, seinem Vater, erzählte sie nicht so gerne. Niemand sprach gerne von ihm.
Denn in der Nacht vor sechzehn Jahren, in der Tarean in Agialon geboren ward, in der Nacht, da das Bündnisheer der verbliebenen freien Reiche des Westens in der Schlacht am Drakenskal-Pass gegen Calvas unterlag, hatte sein Vater, Anreon von Agialon, Ritter des Kristalldrachenordens, auf dessen strahlender Gestalt alle Blicke und Hoffnungen geruht hatten, versagt. Und er hatte seinen Freunden, seinen Kampfgefährten, allen, die an seiner Seite gestritten hatten, den Untergang gebracht.
So jedenfalls gab Than Urias die Ereignisse wieder, wenn er sich – das bärtige, von Alter und Sorge zerfurchte Gesicht vor Grimm zu Stein erstarrt, doch die Zunge vom schweren Scharnhorner Roten gelöst – an die vergangenen Tage erinnerte. Und auch Silas, der Tarean leichtfertig damit aufzog, bis dieser die Beherrschung verlor, glaubte fest daran, dass es der Schwäche seines Vaters und seiner mangelnden Kenntnis im Umgang mit der Alten Macht geschuldet war, dass heute ein Hexer, sein Dämon und Horden wolfsgesichtiger Schergen über ganz Undur, Astria und Thal, weite Teile Breganoriens und selbst die
Weitere Kostenlose Bücher