Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Grenzgebiete von Rûn, Nondur und Albernia herrschten.
Tarean wusste so gut wie nichts über seinen Vater. Er war an jenem Tag auf dem Schlachtfeld zwischen den himmelsstürmenden Bergspitzen der Zwölf Zinnen gestorben. Doch ob verzehrt von der Magie des Buches, die sich vom Segen zum Fluch gewandelt hatte, verbrannt vom Feuer des dämonischen Grimmwolfs, niedergestreckt vom Schwert seines einstigen Kampfgefährten, des Hochkönigs Jeorhel von Albernia – die Berichte der wenigen Überlebenden jener Stunden fanden hierin keine Einigkeit. Der Einzige, dessen Worten Tarean Glauben geschenkt hätte, wollte über jene Geschehnisse nicht sprechen, auch nach all den Jahren nicht.
So war Anreon von Agialon in der Erinnerung derer, die seitdem unter der Schreckensherrschaft des Hexers litten, zum Symbol für die Unterwerfung der westlichen Reiche Endars durch die Horden von jenseits der östlichen Berge geworden. Der kleine, schmucklose Grabstein auf dem Friedhof des benachbarten Dorfes Ortensruh war die einzige Erinnerung, die Than Urias einem einstmals großen Krieger zugestanden hatte. Doch auch dieser blieb stumm und verriet keines seiner Geheimnisse. Einstmals ein großer Krieger … An dieses Bild, heimlich eingeflüstert von dem einen Mann, der es wissen musste, hatte sich Tarean in all den Jahren geklammert.
In der Wachstube ließ sich der Junge mit allen Gerätschaften zur Waffenpflege versorgen. Dann rannte er wieder hinaus ins Freie, erklomm die steinerne Treppe hinauf zur Burgwehr und setzte sich auf eine vorspringende Kante des Torhauses, von der aus er während der Arbeit gut über die Zinnen hinaus ins Land zu schauen vermochte.
Tarean saß gerne alleine hier oben und genoss den wundervollen Ausblick. Zu seinen Füßen lag der grasbewachsene Burggraben, der von einer schweren hölzernen Zugbrücke überspannt wurde, die tagsüber stets heruntergelassen war, zur Nacht jedoch von den Torwachen hochgezogen wurde. Jenseits der Zugbrücke begann die breite Fuhrwerkstraße, die sich von der Burg ausgehend eine knappe Meile durch Wiesen und Felder hinab ins Tal bis nach Ortensruh schlängelte. Dort traf sie auf die Handelsstraße, die, aus den Kernlanden Breganoriens kommend, einmal quer durch Bergen führte, um schließlich in der Mitte des Almentals den Eilwasser zu überqueren und damit in albernianisches Hoheitsgebiet einzutreten.
Wie Tarean wusste, ging sie weiter bis hinauf nach Cayvallon, zur Feste des Hochkönigs der Alben, die wie ein großer, Schutz versprechender Bruder imposant an der Flanke des Antallarzuges thronte, der das Tal gen Norden begrenzte. Obwohl der Junge das ferne Bollwerk kannte, seit er als Kind an der Hand seiner Amme das erste Mal neugierig aus dem Burgtor von Dornhall hinaus ins Land geblickt hatte, war es ihm nie vergönnt gewesen, es zu besuchen. Das aus gewaltigen weißen Steinquadern errichtete Cayvallon mit seinen schlanken Türmen und den grünen Fahnen, die im stetigen Ostwind flatterten, war wie ein schönes Traumbild in einer harten und dieser Tage oft freudlosen Wirklichkeit.
Der Junge hatte seine Arbeit beinahe abgeschlossen, als ihm eine einsame Gestalt auffiel, die auf dem Rücken eines gehörnten weißen Pferdes die Fuhrwerkstraße heraufgeprescht kam. Tarean sah, dass der kräftige Leib des Tieres blitzblank gestriegelt war und das kurze, gewundene Stirnhorn regelrecht im Sonnenlicht glänzte.
Natürlich war er nicht der Einzige, der den Mann bemerkt hatte – ein Alb, wie Tarean erkannte, als er die fahlgraue Hautfarbe, das lange, wehende weiße Haar und die grün-silbernen Farben Cayvallons gewahrte. Schon schallte der Ruf »Ein Bote des Hochkönigs naht!« von den Zinnen hinunter in den Burghof, doch bevor die neugierige Dienerschaft auch nur zusammengelaufen war – vom Erscheinen des Thans ganz zu schweigen –, galoppierte der Alb auf seinem prächtigen Reittier bereits über die Zugbrücke und durch das Torhaus ins Innere der Burg. Dort zügelte er sein Ross, sprang elegant ab und übergab das Tier einem herbeigeeilten Knecht, bevor er mit raschen Schritten zum Haupthaus hinüberlief.
Neugierig glitt Tarean von seinem Beobachtungsposten hinunter, lehnte sein Schwert an die Mauer und folgte einige Schritte dem Wehrgang, um den Besucher nicht aus den Augen zu verlieren. Doch seine vage Hoffnung, der Alb möge sich in den Burghof stellen und irgendwelche Neuigkeiten aus Cayvallon verkünden, lautstark den Willen des Hochkönigs proklamieren oder irgendetwas
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