Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
mit düsterer Stimme. »Die Frage ist vielmehr: Lassen wir Calvas den Krieg auch in dieses, unser letztes Refugium tragen? Oder tragen wir den Krieg vorher zu ihm? Ich habe dazu nur eines zu sagen: Es ist an der Zeit, dass wir die Fesseln abschütteln, die uns vor fast zwei Jahrzehnten angelegt wurden. Der Hexer muss erkennen, dass er uns zwar besetzen, aber niemals besiegen kann.«
Am Abend suchte Tarean Wilfert in seinen Gemächern auf. Er besuchte ihn regelmäßig, vor allem an Tagen, an denen er ihn tagsüber oder bei den Mahlzeiten nicht gesehen hatte. Dem Gesetz nach mochten sein Ahn und seine Ahne seine nächsten Verwandten sein. Dennoch fühlte sich der Junge stärker zu Wilfert hingezogen, der einst an der Seite seiner Eltern in Agialon gelebt hatte und der, da war er sich ganz sicher, vor allem seinetwegen nach Dornhall gekommen war. Tarean hatte keine Ahnung, ob der Knappe eines Ritters irgendeine Verantwortung für dessen Nachwuchs trug, aber er war froh darüber, den besonnenen Mann, der noch vor seiner Ankunft in Bergen selbst zum Ritter geschlagen worden war, in seiner Nähe zu haben.
Die meiste Zeit tauschten sich die beiden über ihr übliches Tagewerk aus. Der Ritter zeigte sich höchst interessiert an den Fortschritten, die Tareans Ausbildung machte, und der Junge ließ sich schildern, wie es in der Gemarkung Bergen aussah, die Wilfert im Namen Than Urias’ mitverwaltete.
Gelegentlich erzählte Wilfert ihm auch Geschichten aus der alten Zeit, der Zeit, bevor Calvas und seine Wolflinge die Länder des Westens überrannt hatten. Er erzählte von der prächtigen Stadt Agialon, deren Größe und einstigen Reichtum sich ein Bergfex, wie Wilfert Tarean früher immer neckend genannt hatte, kaum vorstellen konnte. Er berichtete aber auch vom Leben im waldigen Thal, in den rauen Hochmooren von Rûn und vom großen Ozean, dessen Wellen sich tosend an der Steilküste im Süden Breganoriens brachen und der sich schier endlos bis zum Horizont erstreckte.
Nur wenn Tarean das Gespräch auf den Kristalldrachenorden brachte, dem Wilfert einst angehört hatte, oder mehr über die Schlacht am Drakenskal-Pass oder über die Taten seines Vaters als Ordensritter zu hören verlangte, wurde der Ritter sehr einsilbig. »Das liegt in der Vergangenheit, mein Junge«, murmelte er dann und fing umständlich an, seine Pfeife zu stopfen. Mit der Zeit hatte Tarean das akzeptiert.
An diesem Abend traf Tarean Wilfert höchst nachdenklich an. Es wunderte ihn allerdings kein bisschen, dass dem Ritter die Worte des Alben, die Silas und er im Studierzimmer mitgehört hatten, schwer zu schaffen machten. Er selbst war den Rest des Tages mit einer kaum zu bezähmenden Unruhe umhergelaufen. Und wahrscheinlich hatte ihn genau diese Unruhe nach dem Abendessen, das die Jungen an Tagen, an denen nicht im großen Saal getafelt wurde, mit dem Gesinde in der Küche einzunehmen pflegten, zu Wilferts Gemächern getrieben.
Der Ritter hob den Blick, als der Junge eintrat. »Tarean. Wie schön, dass du vorbeischaust.«
»Guten Abend, Wilfert.«
Der Mann winkte ihn mit dem gesunden rechten Arm näher. »Komm her und setz dich. Wie war dein Tag?«
»Er hätte besser sein können«, erwiderte Tarean, während er sich auf einem der Holzstühle in Wilferts Zimmer niederließ.
Der Ritter beugte sich vor. »Mir kam zu Ohren, dass du Silas erschlagen wolltest.«
Der Junge zog bei der Erinnerung daran die Augenbrauen zusammen. »Er hätte es jedenfalls verdient.«
»Was ist denn geschehen?«
»Er hat meinen Vater beleidigt. Nannte ihn den Fluchbringer, den Verräter.«
Seufzend lehnte sich Wilfert zurück. »Ich verstehe.«
»Das alles ist schon sechzehn Jahre her, Wilfert. Meint Ihr, es wird jemals aufhören?«
Sein Gegenüber nahm sich eine verschnürte Ledertasche, die auf einem kleinen Tisch nahebei lag und holte seine Pfeife und den Beutel mit Pfeifenkraut hervor. »Weißt du, Tarean, das ist eine gute Frage, die ich mir gerade heute auch wieder gestellt habe«, gab er bedächtig zurück.
»Warum?«, fragte Tarean nur.
Der Ritter griff in den Beutel, kramte darin herum, brachte dann ein kleines Häuflein getrockneten, braunen Pfeifenkrauts zum Vorschein und zeigte es dem Jungen. »Das ist mein letzter Rest Altengrundkraut.«
»Und?«
»Altengrund liegt in Thal, und das ist von den Wolflingen besetzt. Es wird immer schwerer, Pfeifenkraut von dort durch ganz Breganorien bis hierher schmuggeln zu lassen. Und dabei geht es uns noch gut,
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