Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
zweiten Stock des Haupthauses, wo sein Schlafgemach neben denen der Bediensteten lag. Aus der Truhe, die neben seinem Bett stand, zog er seine braune Gugel hervor und streifte sie sich über den Kopf. Dann hob er das Schwertgehänge mit der Klinge, die ihm Wilfert vor zwei Jahren zum vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte, vom Haken und schnallte es sich um.
Die Waffe war an sich schlicht, aber gut verarbeitet, einem Jungen, der zwar erst in der Ausbildung zum Krieger war, sich andererseits indes in harten Zeiten wie diesen verteidigen und dabei auf sein Handwerkszeug verlassen können musste, durchaus angemessen. In den scheibenförmigen Knauf hatte Wilfert einen winzigen weißen Drachenkopf einschnitzen lassen – Tareans Ansicht nach gab dies dem Schwert etwas Besonderes, auch wenn er nicht hätte erklären können, was genau es war.
Dergestalt vorbereitet wanderte der Junge kurz darauf durch das Tor der heimatlichen Burg hinaus auf die sonnenbeschienene Fuhrwerkstraße, doch er folgte ihr nicht lange. Stattdessen bog er schon nach wenigen Schritten nach rechts ab, um einen schmalen Pfad durch die Wiesen zu nehmen, der sich, anfangs noch sanft ansteigend, dann zunehmend abenteuerlicher an der Bergflanke des Wallhorns entlangzog.
Schon nach einer halben Stunde schwitzte der Junge in der an diesem Tag noch einmal ungewöhnlich kraftvoll vom strahlend blauen Himmel auf ihn herabscheinenden Spätsommersonne, und er wusste, dass es eine ziemliche Plackerei werden würde, das Wallhorn zu erklimmen. Der schmale Gebirgspfad, dem er folgte, war für Packpferde nur mit Mühe und für Wagen überhaupt nicht passierbar. Es würde sicherlich drei Stunden dauern, bis er den kleinen Wachturm erreichte, der auf einem schmalen Felsplateau an der Nordostwand des Berges errichtet worden war. Vielleicht hatte er sich doch ein bisschen zu früh auf diesen kleinen Ausflug gefreut.
Aber dann tauchte der Weg in ein lichtes Nadelgehölz ein, zerzauste Tannen und Fichten, die es geschafft hatten, auf dem felsigen Untergrund Wurzeln zu schlagen, und in ihrem Schatten ließ sich der Weg gleich viel leichter bewältigen. Es dauerte nicht lange, da schritt Tarean beschwingt aus und pfiff dabei vor sich hin und war im Großen und Ganzen der Meinung, dass er es an einem Tag wie diesem doch kaum besser hätte treffen können. Silas und die anderen mussten jetzt ganz sicher den Burghof fegen oder beim Ausbessern des Mauerwerks helfen oder was auch immer Hofmeister Dinral für unsinnige Arbeiten einfallen mochten, wenn er das Gefühl bekam, die Jungs hätten zu wenig zu tun. Der Gedanke an Silas, der mit hochgekrempelten Ärmeln und vor Anstrengung gerötetem Gesicht den Reisigbesen schwang, ließ Tarean laut auflachen.
Plötzlich knackte ein Zweig im Gebüsch zu seiner Rechten, und mit einem Schlag war seine Ausgelassenheit wie mit Silas’ riesigem Reisigbesen buchstäblich weggefegt. Siedend heiß kamen ihm Ilrods Worte über Wolflinge und einsame Wanderer in den Sinn und dass er eigentlich die Augen hätte offen halten sollen, statt verträumt die fernen Schäfchenwolken am Himmel zu zählen. Bevor er noch sein Schwert ziehen konnte, brach ein großer Körper aus dem Unterholz – doch er hatte Glück. Es war nur ein wildes Braunfelk, das mit furchtsam angelegten Ohren auf schlanken Beinen anmutig über den Weg sprang und dann bergab im Dickicht verschwand.
Tareans Herz schlug ihm bis zum Hals, als er vorsichtig seine schweißfeuchte Hand um den lederumwickelten Schwertgriff lockerte. »Wenn das ein Wolfling gewesen wäre, hätte dein letztes Stündlein geschlagen, du junger Tor«, murmelte er zu sich selbst, und er hatte dabei Ilrods Gesicht vor Augen.
Deutlich vorsichtiger als bisher setzte er seinen Weg fort.
Die Sonne hatte ihren höchsten Punkt schon eine Weile überschritten, als er schließlich aus dem Wald heraus auf das Felsplateau trat, auf dem schon der Vater von Than Urias vor vielen Jahrzehnten einen kleinen, zweistöckigen Wachturm mit einem Leuchtfeuer an der Spitze hatte errichten lassen.
Es war, wie ihm einer der Soldaten einmal erzählt hatte, zu Zeiten des Bauernaufstandes gewesen, als die Landwirtschaft betreibende Bevölkerung der Gemarkungen Bergen, Helveant und Ost-Arden gegen neue Steuerlasten, erlassen von Althan Remiras II ., zu Axt und Pike gegriffen hatten. Damals hatte Than Uriel befürchtet, der Althan könne mit der Agialonischen Garde ausziehen, um die Aufständischen – und ihren Landadel – mit einem
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