Tarean 01 - Sohn des Fluchbringers
Schweigen entstand. Dann sagte der Bote sehr vorsichtig: »Ich möchte nicht anmaßend sein und vorgeben, dass ich die Gedankengänge des Hochkönigs kenne. Es scheint mir allerdings, dass er die Ansicht vertritt, dass die Zeit des Ausharrens und des schlichten Verteidigens dessen, was wir noch unser Eigen nennen, endlich vorbei sein sollte. Die Zeit ist gekommen, mutige Entscheidungen zu treffen.«
»Mit solchen Gedanken beschreiten wir einen gefährlichen Pfad«, gab Wilfert zu bedenken.
Than Urias schien einen Augenblick länger zu brauchen, bis sich das Gesagte in seinem Geist gesetzt hatte. Dann jedoch polterte er los: »Gefährlich? Es ist ungeheuerlich! Solche Ideen können nur dem Wahnwitz entsprungen sein. Mutige Entscheidungen? Bei den Dreigöttern, wollt Ihr alle enden wie der Mann, dessen Versagen uns den Fluch von Calvas’ Herrschaft erst eingebracht hat?«
»Beruhigt Euch, Than Urias.« Wilferts Stimme war sanft, aber bestimmt.
»Nein, Herr Wilfert, ich werde mich nicht beruhigen. Das Zeitalter heroischer Taten ist vorbei. Und nicht einmal die Barden wagen es, heute noch davon zu singen. Was dieser Mann vorschlägt, setzt nicht weniger als unser aller Leben aufs Spiel. Schon einmal, vor sechzehn Jahren, haben wir unter wesentlich günstigeren Umständen versucht, den Hexer herauszufordern. Seht, was es uns …«
»Wir, Than Urias?«, unterbrach ihn die Stimme des Boten.
»Was soll das heißen?«, fragte Urias scharf. »Bergen hat wie alle Gemarkungen seinen Teil der Last getragen!«
»Ich erinnere mich nicht, Euch auf dem Schlachtfeld gesehen zu haben«, hieb der Bote noch einmal in die gleiche Kerbe, und Tarean konnte ein Stockwerk höher ein leises Aufkeuchen nicht unterdrücken. Der Alb war entweder lebensmüde oder aber erheblich höheren Standes, als es zunächst den Anschein erweckt hatte. Kein einfacher Bote, und stünde er dreimal in den Diensten des Hochkönigs von Albernia, hätte es gewagt, Than Urias von Bergen so frech zu beleidigen.
»Das … ich …« Tareans Ahn schnaufte vor Wut. »Das muss ich mir nicht anhören. Nicht von Euch!«
»Bitte. Können wir diese Unterhaltung nicht wieder mit etwas mehr Ruhe führen, meine Herren?«, schaltete sich Wilfert erneut ein. »Wir spielen unseren Feinden nur in die Hände, wenn wir uns bereits zerstreiten, bevor wir überhaupt angefangen haben, über irgendeine gemeinsame Vorgehensweise zu beraten.«
Erneut war aus dem Speisesaal kein Laut zu vernehmen, und Tarean konnte sich lebhaft vorstellen, wie sich die Kontrahenten angespannt gegenüberstanden und einander aus blitzenden Augen anfunkelten. Es war der Alb, der schließlich das Schweigen brach: »Ihr habt die Weisheit Eures Mentors geerbt, Ritter Wilfert von Agialon. Than Urias von Bergen, bitte nehmt die aufrichtige Entschuldigung für mein unbotmäßiges Verhalten entgegen. Es steht mir nicht zu, Eure Ehrenhaftigkeit anzuzweifeln oder Eure Beweggründe in Frage zu stellen. Genauso wenig«, und seine Stimme wurde ein wenig schärfer, »wie es Euch zusteht, die des Hochkönigs in Frage zu stellen, ohne ihn überhaupt angehört zu haben.«
Than Urias brummte irgendetwas Unverständliches.
»Wann erwartet uns Hochkönig Jeorhel auf Cayvallon?«, nahm Wilfert den abgerissenen Gesprächsfaden wieder auf.
»Schon übermorgen, sollte es sich einrichten lassen«, erklärte der Bote. »Und um Euren Zweifeln an der Durchführbarkeit unserer Pläne ein wenig an Gewicht zu nehmen, sei Euch versichert, Than Urias, dass auch wir das Leben und das Wohlergehen unseres Volkes niemals für eine verlorene Sache aufs Spiel setzen würden. Nicht nur Calvas sucht an unmöglichen Orten nach möglichen Verbündeten. Auch wir tun dies.«
»Könnt Ihr nicht deutlicher werden?«, hakte Wilfert nach.
»Nein«, erwiderte der Alb, »nicht hier und nicht jetzt. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir, so rasch es sich einrichten lässt, nach Cayvallon reiten.«
»Gibt es sonst noch etwas, das uns mitzuteilen Euch aufgetragen wurde?«, fragte Than Urias.
»Nichts, was nicht allgemeines Geschehen bei Hofe beträfe und auch in einem weniger vertraulichen Umfeld besprochen werden könnte.«
»Gut. Wir folgen der Einladung des Hochkönigs und brechen morgen früh auf.« Die Stimme von Tareans Ahn deutete an, dass er das Gespräch damit enden lassen wollte. »Und die Dreigötter mögen uns beschützen, sollte es erneut zum Krieg kommen.«
»Der Krieg um die Länder des Westens hat nie geendet«, sagte der Alb
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